30 Jahre HERFORDER THESEN - Wie weiter?

I.

Es ist gut und begrüßenswert, dass die Zeitschrift spw aus Anlass des 30. Jahrestags des Erscheinens der Herforder Thesen - Zur Arbeit von Marxisten in der SPD einen Artikel veröffentlicht, schließlich haben beide viel miteinander zu tun. Das mit einem fröhlichen „Happy Birthday“ gewürdigte Dokument von 1980 war die „wesentlich überarbeitete, erweiterte Ausgabe" der ersten Fassung der Herforder Thesen. Die erste Version war bereits im Mai 1978 erschienen[i]. Die Gründung der Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft (spw) datiert vom Oktober 1978[ii]. Ihr Name nimmt bewusst Bezug auf die Zeitschrift desselben Namens in der Weimarer Republik unter Leitung von Paul Levi.

Die erste Fassung der Herforder Thesen hatte zu einem kontroversen, aber auch konstruktiven Echo innerhalb wie außerhalb der SPD geführt. Kritische Beiträge kamen u. a. von der Zeitschrift „Beiträge für den wissenschaftlichen Sozialismus“, der heutigen Zeitschrift „Sozialismus“, von den „reformistischen“ Jusos um den „Malenter Kreis“ und gleich zweimal aus dem damaligen „Göttinger Kreis“, einer von Wolfgang Krumbein und Gerhard Schröder und ein anderer von Michael Wendl. Die verschiedenen Stellungnahmen wurden in der spw im Dezember 1979 veröffentlicht. [iii] Eingeleitet wurde das Heft durch einen Beitrag aus dem Verfasserkreis der Thesen,[iv] in dem angekündigt wurde, die verschiedenen Kritiken intensiv zu bedenken, die Herforder Thesen gründlich zu überarbeiten und bald eine Neuausgabe zu veröffentlichen. Das geschah im Mai 1980. [v]

Die Positionsbestimmung in Form der Herforder Thesen und die Herausgabe einer eigenen Theoriezeitschrift standen nicht zufällig in einem engen zeitlichen Zusammenhang. Auch personell gab es eine weitgehende Identität der an beiden Projekten Beteiligten. Thesen wie Zeitschrift markierten dabei den bewussten Übergang von einer reinen Juso-Gruppierung, bekannt als Hannoveraner Kreis, zu einer sich als marxistisch verstehenden Strömung in der deutschen Sozialdemokratie.

Anlass und Ausgangspunkt für diesen großen Schritt waren die Mehrheitsfähigkeit des Hannoveraner Kreises auf Juso-Bundesebene und deren Folgen. Anfang 1977 wurde mit Klaus Uwe Benneter erstmals ein Bundesvorsitzender aus den Reihen der „Stamokaps“ gewählt. Aber schon bald danach suspendierte die Parteispitze satzungswidrig die Mitgliedsrechte des demokratisch gewählten Juso-Bundesvorsitzenden und ließ ihn anschließend aus der Partei ausschließen. Ausschlüsse weiterer Genossinnen und Genossen, von Mechthild Jansen, Heinrich Lienker, Gerhard Stuby u. a., folgten wenig später. Diejenigen, die schon 1973 als Ziel „die Veränderung der SPD zu einer Partei, die sich an den historischen Interessen der Arbeiterklasse orientiert“[vi], gefordert hatten, wollten sich aber weder individuell noch als Gruppierung aus der Sozialdemokratie hinausdrängen lassen. Als neuformierter marxistischer Strömung in der Partei, versehen mit einer umfassenden strategischen Positionsbestimmung und dem Kommunikationsmittel einer regelmäßig erscheinenden Theoriezeitschrift, gelang dann auch in den kommenden Jahren sowohl eine feste Verankerung in der Partei als auch eine erhebliche personelle Stärkung.

Dabei halfen nicht nur die grundlegenden strategischen Positionen in den ersten Teilen der Herforder Thesen. Für die praktische Arbeit „vor Ort“ überzeugend war vor allem der fast einhundert Seiten lange Teil VI. unter der Überschrift „Für ein sozialdemokratisches Programm der gesellschaftliche Alternative“ mit ausformulierten Zwischenzielen und konkreten Tagesforderungen. Darauf aufbauend gelang es in den nächsten Jahren, dezentrale sozialdemokratische Konzepte für regionale Wirtschaftspolitiken zu formulieren. Erarbeitet und beschlossen wurden sie von verschiedenen regionalen Gliederungen der Jungsozialisten und auch der Partei. Dokumentiert ist dies in der spw.[vii]

Auch die Grundsatzdiskussionen konnten fortgeführt und stärker in der Gesamtpartei verankert werden. Von großer Bedeutung war hier die von über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern besuchte Bielefelder Tagung der spw vom 30. Oktober bis zum 2. November 1980 unter dem Titel „Linke Sozialdemoraten und bundesrepublikanische Linke“[viii]. Es folgte die aktive Teilnahme an der programmatischen Arbeit der SPD. Eine Kritik des „Irseer Programmentwurfs“ für ein neues Grundsatzprogramm der SPD [ix] und ein Band mit programmatischen Aufsätzen[x] wurden veröffentlicht. Bei der Besetzung der Programm-Kommission der SPD auf Bundesebene wurden drei Mitverfasser der Herforder Thesen als Vertreter ihrer jeweiligen Bezirke[xi] benannt. Dort arbeiteten sie als integraler Teil der damaligen „Programmlinken“. Durch diese gemeinsame Arbeit konnte das neue Parteiprogramm nicht unerheblich nach links gerückt werden. Das „Berliner Programm“ wurde schließlich am 20. Dezember 1989 in Berlin verabschiedet, verabschiedet leider in der doppelten Bedeutung des Wortes, denn praktische Relevanz sollte es nie bekommen. 1998 wurde es auf dem Leipziger Parteitag revidiert und schließlich 2007 durch das Hamburger Programm ersetzt. Eine koordinierte politische Einflussnahme von der Position der Herforder Thesen aus auf die Programmatik der SPD gab es im Zeitraum zwischen1989 und 2007 nicht mehr.

II.

Dass der Artikel zu den Herforder Thesen nicht aus dem Kreis ihrer Verfasserinnen und Verfasser kam, sondern von einer grundsätzlichen Kritikerin der Thesen, ist für sich allein noch kein Grund zur Kritik. Christina Ujma, von 1986 bis 1988 eine der stellvertretenden Juso-Bundesvorsitzenden, war mit Detlev Albers befreundet.[xii] Sie stand aber politisch nicht im Diskussionszusammenhang der Herforder Thesen.

In ihrer Kritik an den Herforder Thesen bezieht Ujma sich unvermittelt auf die Göttinger Thesen und behauptet apodiktisch: „Ihre Analyse ist meist tiefschürfender als die der Herforder Thesen, die der Stamokaptheorie anhingen.“[xiii] Die Thesen des Göttinger Kreis der Jungsozialisten, den Ujma selbst als Gruppierung von „antirevisionistischen Marxisten in der SPD“ [xiv] bezeichnet, waren in Anlehnung an die Herforder Thesen, aber auch in Abgrenzung zu ihnen in zwei Texten[xv] publiziert worden, die weder einander folgende Entwicklungsstufen darstellten, noch inhaltlich in irgendeiner Weise aufeinander aufbauten: Unverbunden und ohne Bezug zueinander behandelten sie vielmehr unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche, mehr akademisch als politisch.[xvi]

Statt inhaltlicher Argumente an den Herforder Thesen reiht die Autorin auch sonst Wert- und antikommunistische Vorurteile aneinander. Vor allem verkennt bzw. übersieht sie den inneren Zusammenhang von Analyse und Strategie der Herforder Thesen, der gerade die Stärke dieses programmatischen Dokuments ausmacht: Aus der Analyse der wirtschaftlichen Verhältnisse und ihrer Entwicklung – der Theorie des staatsmonopolitischen Kapitalismus entsprechend – ergibt sich die zentrale strategische Forderung nach der „Demokratisierung der Wirtschaft als Kernbereich jeder sozialistischen Alternative“ (13. These), mit den Einzelforderungen nach einer „Mindestschwelle der Vergesellschaftung“ (14. These), nach „Demokratischer Planung“ (15. These) und nach “Mitbestimmungs- und Kontrollrechten“ (16. These). Konkretisiert wird diese Forderung unter der Überschrift „Demokratisierung der Wirtschaft - Durchsetzung der neuen ökonomischen Logik“ (51. These) mit den Forderungen nach „Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien“ (52. These), nach „Demokratisierung der Betriebe“ (53. These) und nach einer „Demokratische(n) Wirtschaftsplanung“ (54. These). Die Analyse der kapitalistischen Gesellschaft steht damit in den Herforder Thesen in einem untrennbaren Zusammenhang zu der dort entwickelten und konkretisierten Strategie. Genau das übersieht Ujma!

Unbegründet ist ihre Kritik auch im Hinblick auf Staat und Demokratie. Ujma schreibt: „Gelegentlich fehlt da die Einsicht, dass ein großer staatlicher Sektor erst einmal wenig mit sozialistischen Verhältnissen zur tun hat."[xvii] Zwar registriert sie durchaus, dass sich in den Herforder Thesen direkt im Anschluss an den Abschnitt über die „Demokratisierung der Wirtschaft" die grundlegende Forderung nach der „demokratischen Transformation des Staates“ (17. These) anschließt mit Ausführungen zu den „Demokratischen Grundrechten“ (18. These), zur „Dezentralisierung und Selbstverwaltung“ (19. These) sowie zu „Parlamentarische Kontrolle und innere Demokratisierung“ (20. These). Überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hat sie die weitere Konkretisierung der Forderung nach „Demokratisierung staatlicher Willensbildung und Entscheidungsstrukturen“ durch die Thesen 60 bis 63. Unbeirrt setzt sie ihre antikommunistischen Duftmarken, vom „Eisernen Vorhang“ bis hin zu „einer sowohl allmächtigen wie unbeweglichen Megabürokratie“.[xviii]

So wenig die grundlegende demokratische Ausrichtung der Herforder Thesen antikommunistische Rezeptionssperren bei Ujma überwinden konnte, so wenig kann sie sich offenbar den kollektiven, freundschaftlichen und gleichberechtigten Prozess der Willensbildung bei der Entstehung und Überarbeitung der Herforder Thesen vorstellen. Bei ihr gab es nur eine anonyme „Verfassergruppe unter Federführung von Detlev Albers“.[xix] Tatsächlich aber haben zwanzig oder mehr Genossinnen und Genossen an den Thesen mitgearbeitet. Seit der Erarbeitung des Hamburger[xx] und des Berliner Strategiepapiers[xxi] 1971 hatte es einen fast zehnjährigen intensiven und solidarischen Diskussionsprozess im Hannoveraner Kreis und in den dort zusammenarbeitenden Juso-Landesverbänden gegeben. Bei der Arbeit an den Herforder Thesen konnte auf einem hohen Maß inhaltlicher Übereinstimmung und auf wechselseitigem Respekt sowie Vertrauen untereinander aufgebaut werden. Die gesamte Arbeit bedurfte weder Entscheidungen einer Führungsfigur noch streitiger Kampfabstimmungen.

Dennoch wird niemand, der damals dabei war, die besondere, die aktive und kreative Rolle von Detlev Albers in Frage stellen. Sein größtes Verdienst war es, dass er in der Situation des durch Ausgrenzung und Parteiordnungsverfahren entstandenen Drucks den Anstoß dafür gab, zur offensiven Behauptung und Fortentwicklung der eigenen Identität in der Sozialdemokratie die Herforder Thesen zu schreiben. Er war es auch, der dann besonders auf die umfassende Überarbeitung drängte.

Detlev Albers hatte zudem als erster die Notwendigkeit einer besonderen, für die zweite Ausgabe neu formulierten Einleitung erkannt und diese auch selbst entworfen. Darin ging es vor allem um die historische und die internationale Einordnung des eigenen politischen Kampfes. Ujma hat daraus zwei wesentliche Sätze zitiert, denen sie eine „xxl-Dimension“ bescheinigt. Sie übersieht aber, dass es damals nicht nur allgemein um weltweite Zusammenhänge ging, so wichtig die auch waren und noch heute sind. Es ging seinerzeit vor allem um die Standortbestimmung marxistischer Sozialdemokraten innerhalb einer in gegensätzliche Gesellschaftssysteme gespaltenen Welt. Vor allem zwei Sätze aus der von Detlev Albers vorgeschlagenen Einleitung waren dabei von großer Bedeutung: „Linke Sozialdemokraten in der Bundesrepublik werden ähnlich wie seinerzeit Otto Bauer weder den fortschrittlichen Grundcharakter der in der Sowjetunion verwirklichten Produktionsverhältnisse leugnen oder vergessen lassen, noch unterschätzen sie die Bedeutung des sozialistischen Lagers als ein überall in Rechnung zu stellendes Gegengewicht gegenüber den Vorherrschaftsbestrebungen einzelner kapitalistischer Staaten und den von ihnen repräsentierten Monopolinteressen. Ebenso wenig aber werden sozialdemokratische Marxisten, die in ihrem eigenen Land für einen prinzipiell anderen Weg zum Sozialismus eintreten, auf die Äußerung offener, solidarischer Kritik an solchen Entscheidungen der Sowjetunion wie der anderen sozialistischen Staaten verzichten, die der Sache des internationalen Sozialismus abträglich sind.“[xxii]

Diese Sätze - wobei der zweite im innerparteilichen Streit gern weggelassen wurde - haben damals in der SPD Aufsehen, Hektik und erneute Rufe nach Parteiordnungsverfahren ausgelöst. Doch die praktische Verankerung der Gruppierung in der Partei, die Solidarität des überwiegenden Teils der Parteilinken und nicht zuletzt die Geschlossenheit der „Herforder“ selbst haben das aber ohne größere Schäden vorübergehen lassen. Wie richtig diese Sätze waren, konnten wir nach 1989 in der dann folgenden ungebremsten neoliberalen Offensive lernen, als nach dem Wegfall der Systemkonkurrenz viele der nach dem Zweiten Weltkrieg erkämpften sozialen Errungenschaften wieder rückgängig gemacht wurden. Dies geschah nach 1999 leider auch unter Mithilfe, teilweise sogar auf Initiative der SPD unter Schröder!

Der Fortfall des „Sozialistischen Lagers“ hat die Kampfbedingungen „für den demokratischen Weg zum Sozialismus“ verändert, stellt aber die prinzipielle Notwendigkeit einer grundlegenden Gesellschaftsveränderung über den Kapitalismus hinaus nicht in Frage. Deshalb verstehen wir bis heute nicht, weshalb viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nach der Wende glaubten, ihre bis dahin vertretenen Positionen aufgeben, teilweise sogar in ihr Gegenteil verkehren zu müssen. Christina Ujma hat, zwar nicht in ihrem Aufsatz in der spw, aber in dem Nachruf auf Detlev Albers formuliert: „Es ist nicht nur so, dass Detlev Albers nach 1989 seine linken Positionen verlassen hätte, man könnte sagen, sie haben auch ihn verlassen.“ Das mag so sein.

Gleichwohl denken wir, dass Detlev in der jetzigen Wirtschafts- und Finanzkrise und angesichts des anhaltenden Abbaus von Sozialstaatlichkeit in der Europäischen Union seine linken Positionen hätte wiederfinden können. Vielleicht hätten auch sie ihn wieder gefunden. Und wir wären darüber wieder ins Gespräch miteinander gekommen - etwa über die heutige Bedeutung der Herforder Thesen.

III.

Wenn die Gratulanten aus der spw-Redaktion nun, 30 Jahren nach dem Erscheinen der Herforder Thesen, „ein bisschen neidisch“ in eine Zeit zurückblicken, „in der weitergehende Sozialismusperspektiven zur Debatte standen“[xxiii], ist das ein prinzipiell lösbares Problem. Und es sollte gelöst werden! Ansatzpunkt dafür ist die gesellschaftliche und politische Realität, die damals wie heute eine strikte Trennung tagespolitischer Reformarbeit von langfristigen Umwälzungen und die Verschiebung letzterer auf den „Sankt-Nimmerleins-Tag“ verbietet. Die gegenwärtige weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise und die Reaktionen in der Europäischen Union darauf drohen über die von EU-Kommission und Europäischem Rat eingeleitete Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts zusammen mit dem Druck auf die in Schwierigkeiten befindlichen Mitgliedsstaaten, jede Sozialstaatlichkeit in der EU zu beseitigen. Wer das nicht glaubt, mag nur die Memoranden lesen, denen sich die griechische und die irische Regierung unterwerfen mussten.[xxiv] 

Ausgangspunkt der Krise mit ihren sozialen Folgen sind die spekulativen Geschäfte im Finanzsektor und die „systemische“ Bedeutung der großen Finanzkonzerne. Systemisch bedeutet hier, dass diese Monopolunternehmen EU- und weltweit[xxv] auf Grund ihrer Position im gesamtwirtschaftlichen Reproduktionsprozess in der Lage sind, sich zur Stabilisierung ihrer immensen Profite der politischen Macht des Staates sowie überstaatlicher Institutionen zu bedienen. Um das künftig zu verhindern, müssen nicht nur die Finanzmärkte unter Änderung der EU-Verträge reguliert werden. Die privaten Großbanken und andere Finanzinstitute müssen zudem in öffentliches, demokratisch verwaltetes Eigentum überführt werden. Ähnliche Maßnahmen sind bei den monopolistischen Energiekonzernen überfällig, und dies nicht erst seit der skandalösen Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke. Auch hier ist öffentliches Eigentum, möglicherweise in der Form demokratisch kontrollierten kommunalen Eigentums, unabdingbar. In einem Satz: Die Herforder Thesen erweisen sich gegenwärtig als höchst aktuell.

Darüber wollten wir im Oktober 2010 unter der Überschrift "30 Jahre Herforder Thesen" in Braunschweig auch mit denen diskutieren, die mit uns zusammen in der SPD gekämpft und die Thesen mit erarbeitet hatten. Diejenigen, die heute als SPD-Linke die spw herausgeben, in ihr schreiben, wollten wir dabei mit einbeziehen. Deshalb hatten wir breit und parteiübergreifend zu unserer Veranstaltung eingeladen. Erfreulicherweise kam eine Reihe „Herforder“, die weiterhin in der SPD bzw. inzwischen parteilos sind. Andere mussten aus terminlichen Gründen absagen. Manche hielten es nicht für nötig, auf unsere Einladung zu antworten.

Auch zehn Jahre zuvor hatten wir zum 20-jährigen Jubiläum der Herforder Thesen in Zusammenarbeit mit dem Bildungsverein „Helle Panke“ in Berlin ein Seminar veranstaltet. Auch damals nahmen in der SPD verbliebene Genossinnen und Genossen daran teil. Das dort von Horst Heininger gehaltene Referat bietet noch heute einen ausgezeichneten Überblick über die Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus.[xxvi] Das Referat von Andreas Wehr zur „Sozialismusdiskussion nach dem Scheitern des versuchten Sozialismus“[xxvii] umreißt die Probleme von Sozialistinnen und Sozialisten nach 1989.

Die jetzt in dem spw-Artikel aufgestellte Behauptung Ujmas, dass „ein paar übergetretene Herforder in der Linkspartei eine kleine Feier unter Ausschluss von spw und SPD gemacht“ hätten, ist unwahr. Eine solche Praxis entspräche nicht unserer grundlegenden Haltung, mit der wir uns Ende 1999 auf der Grundlage der inhaltlichen Positionen der Herforder Thesen entschieden hatten, in die PDS einzutreten.[xxviii] Sie entspricht auch nicht unserer Auffassung über die heutige Notwendigkeit gemeinsamer Diskussionen und gemeinsamen politischen Handelns.

Nach diesen Klarstellungen hoffen wir sehr, dass es bald einmal zu einem direkten Meinungsaustausch kommt zwischen Herausgeberkreis und Redaktion von spw sowie weiteren Mitglieder der SPD und denen, die die Herforder Thesen damals geschrieben und die spw gegründet haben, heute aber nicht mehr der SPD angehören. Schon jetzt sei auch darauf hingewiesen, dass der frühere stellvertretende Juso-Bundesvorsitzende Klaus-Peter Wolf, der gegenwärtig keiner Partei angehört, eine dafür geeignete Veranstaltung vorbereitet. Und am allerbesten wäre es, wenn die spw selbst zu einer Tagung einlädt über die Herforder Thesen, über die jetzige Wirtschafts- und Finanzkrise, die sozialen Folgen der Krise und die Notwendigkeit sozialer und politischer Gegenwehr. Wir würden jedenfalls kommen.



[i] Herforder Thesen - Zur Arbeit von Marxisten in der SPD, DVK-Verlag, Berlin, 1978

[ii] Die erste Ausgabe erschien mit dem Schwerpunkt „Sozialistenverfolgung und Bürgerrechte“.

[iii] Für eine sozialistische Perspektive - Zur Diskussion um die Herforder Thesen - Position und Gegenposition, spw Sonderheft 1, Berlin, 1979

[iv] Detlev Albers, Heinrich Lienker, Kurt Neumann, Andreas Wehr, Antwort auf die Kritiker, in: a. a. O., S. 5

[v] Herforder Thesen - Zur Arbeit von Marxisten in der SPD, spw-Sonderheft 2 Berlin, 1980. Im Internet abrufbar unter: http://www.sozialistische-linke.de/veranstaltungen/details/3-30-jahre-herforder-thesen

[vi] Detlev Albers und Kurt Neumann in einem Offenen Brief an den Juso-Bundesausschuss vom 13. Oktober 1973, abgedruckt in: Für ein sozialistisches Langzeitprogramm, SDW-Verlag, Hamburg, 1974, S. 112

[vii] spw Sonderheft 4, Wirtschaftskrise und regionale Gegenwehr - Sozialdemokratische Konzepte für Vollbeschäftigung und Lebensqualität, Berlin, 1983

[viii] spw Sonderheft 3, Linke Sozialdemoraten und bundesrepublikanische Linke, Berlin, 1981, 

[ix] Detlev Albers/Kurt Neumann (Hrsg.) Über Irsee hinaus! - Zur Kritik am Programmentwurf der SPD, spw-Verlag, Berlin, 1987

[x] Detlev Albers, Frank Heidenreich, Heinrich Lienker. Kurt Neumann (Hrsg.): Sozialismus der Zukunft. Grundlagen für das neue Programm der SPD, spw-Verlag, Berlin, 1988

[xi] Es handelte sich um Detlev Albers (Bremen), Heinrich Lienker (Ostwestfalen-Lippe) und Kurt Neumann (Berlin)

[xii] Christina Ujma, Vom Euromarxismus zur Realpolitik. Zum Tod von Detlev Albers (1943 – 2008), in: linksnet vom 31.10.2008. Vgl. auch Christina Ujma, Detlev Albers - Sozialdemokratischer Intellektueller und europäischer Linker, in: Perspektiven ds, 2008, Heft 2, S. 162 - 165; dieselbe, Vom Euromarxismus zur Realpolitik - Zum Tod von Detlev Albers (1943 - 2008), in: Sozialismus, 2008, Heft 7/8, S. 70 -71

[xiii] Christina Ujma, Internationalistischer, pluralistischer und sozialdemokratischer Marxismus – 30 Jahre Herforder Thesen, a. a. O., S. 59

[xiv] Christina Ujma, a. a.O.

[xv] Göttinger Thesen – Arbeiterbewusstsein, Gewerkschaften und Sozialdemokratie, Sovec-Verlag, Göttingen, 1979; Göttinger Thesen II – Die kapitalistische Krise und ihre Überwindung ,Sovec-Verlag, Göttingen, 1980

[xvi] Zu dem ursprünglich als „Göttinger Thesen“ 1979 veröffentlichten Text vgl. die ausführliche Kritik von Kurt Neumann und Andreas Wehr, Die Göttinger Thesen – Ein Beitrag zur Diskussion von Marxisten in der SPD?, in: spw 5 (1979), S. 26 - 45

[xvii] Christina Ujma, Internationalistischer, pluralistischer und sozialdemokratischer Marxismus – 30 Jahre Herforder Thesen, a. a. O., S. 59.

[xviii] a. a. O.

[xix] a. a. O., S. 58

[xx] Hamburger Strategiepapier, beschlossen auf der Landeskonferenz der Hamburger Jusos am 27. November 1971, 4. Auflage, SDW-Verlag, Hamburg, 1973

[xxi] Berliner Strategiebeschluss, beschlossen auf der Landesdelegiertenkonferenz der Berliner Jusos am 4./5. Dezember 1971 und 12./13. Februar 1972, herausgegeben vom Landesvorstand der Berliner Jusos im Eigenverlag, Berlin, 1973

[xxii] Herforder Thesen - Zur Arbeit von Marxisten in der SPD, a. a. O., S. 10

[xxiii] Kai Burmester und Stefan Stache, in: spw 181, S. 58

[xxiv] Hier soll nur auf die in deutscher Sprache vorliegenden irische Absichtserklärung „Spezifische Wirtschaftspoltische Konditionalität“ vom 28. November 2010 verwiesen werden, in der u. a. folgende Maßnahmen vorgesehen sind: Verringerung der Sozialschutzausgaben, der Anzahl der im öffentlichen Dienst Beschäftigen, der laufenden Pensionszahlungen, Senkung des gesetzlichen Mindestlohns um ein € pro Stunde, Haushaltseinsparungen durch Reformen des Sozialsystems um 759 Mio. € usw. Vgl. Ausschussdrucksache des EU-Ausschusses des Deutschen Bundestags - 17(21)0348. Zur Gesamtproblematik vgl. insbesondere Andreas Wehr, Griechenland, die Krise und der Euro, PapyRossa Verlag, Köln, 2010

[xxv] Zur Monopolisierung der Wirtschaftsunternehmen in der EU vgl.: Gretchen Binus, Europäische Union: Konzernentwicklung und EU-Außenpolitik, Studie für die Partei DIE LINKE im Deutschen Bundestag, Berlin, 2010

[xxvi] Horst Heininger, Monopolkapital und staatsmonopolistische Regulierung heute. Zur Aktualität der Herforder Thesen, in: Topos, Internationale Beiträge zur dialektischen Theorie, Heft 16, Berlin, 2000

[xxvii] Unter: http://www.andreas-wehr.eu/sozialismusdiskussion-nach-dem-scheitern-des-versuchten-sozialismus.127.html

[xxviii] „Unsere Entscheidung beruht - trotz der Wut auf eine SPD-Führung, die für den völkerrechtswidrigen Bombenkrieg gegen Jugoslawien verantwortlich ist, die durch Anbiedern an die wirtschaftlich Mächtigen ihren grandiosen Wahlerfolg schon jetzt verspielt und die ihren Parteivorsitzenden rausgemobbt hat - nicht darauf, dass wir die Arbeit entschiedener Sozialistinnen und Sozialisten in der SPD für grundsätzlich falsch hielten. Im Gegenteil: Wir hoffen darauf, dass sie in der SPD wieder stärker und wirksamer werden. Deshalb fordern wir ganz bewusst nicht dazu auf, die SPD zu verlassen. Wir hoffen vielmehr, dass viele dort weiter für fortschrittliche sozialdemokratische Politik eintreten. - Aufgrund jeweils unterschiedlicher individueller Bedingungen sind wir für uns persönlich aber zu der Erkenntnis gelangt, dass wir einen Beitrag zur Stärkung der Linken insgesamt wirksamer in und mit der PDS leisten können als am Rande oder im Vorfeld der SPD. Wer für sich selbst ebenfalls zu dem Ergebnis kommt, in der SPD nicht mehr sinnvoll und erfolgversprechend arbeiten zu können, und sich deshalb zum Austritt entschließt, die oder den bitten wir, ernsthaft zu überlegen, ob die PDS für sie oder für ihn - wie für uns auch - eine alternative organisationspolitische Perspektive bietet. - Wir gehen unseren weiteren politischen Weg in und mit der PDS unter Aufrechterhaltung unserer Grundpositionen, wie wir sie zusammen mit anderen schon 1980 in die "Herforder Thesen - Zur Arbeit von Marxisten in der SPD" hineinschrieben und bis vor kurzem in Artikeln und Diskussionsbeiträgen vor allem in der Zeitschrift spw und in ihrem Organisationszusammenhang vertraten. Wie zuvor in und mit der SPD leisten wir jetzt unsere politische Arbeit in und mit der PDS in der Perspektive gesellschaftlicher und politischer Mehrheiten für demokratische und sozialistische Veränderungen.“ Diether Dehm, Kurt Neumann, Andreas Wehr, Brief vom 12. November 1999 unter: http://www.die-herforder.de/themen/brief.html

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