Die DKP - nicht länger mehr solidarisch mit Venezuela?

Über einen irritierenden Artikel in der Zeitung „Unsere Zeit“

In der Ausgabe vom 29. Juli 2022 konnte man in „Unsere Zeit - UZ", Zeitung der DKP lesen: „Am Donnerstag vergangener Woche griffen Polizeikräfte Mitglieder und Aktivistinnen der Kommunistischen Partei Venezuelas (PCV) an, die sich an einer Demonstration der Arbeitenden in Caracas gegen die Lohnsenkungspolitik der sozialdemokratischen PSUV-Regierung beteiligt hatten. (…)“

In einer Erklärung des Politbüros der Partei wurden Details zum Vorgehen der Polizei veröffentlicht: „Jackeline López, Mitglied des Zentralkomitees der PCV und Vorsitzende der Clara-Zetkin-Frauenbewegung, wurde von Schlägertrupps in der Kleidung des Bürgermeisteramtes von Caracas angegriffen, die von der Vereinigten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) ­koordiniert wurden.“ Die Mitglieder der PCV seien belästigt, bestohlen und „feige zusammengeschlagen“ worden. Als Täter wurden „Beamte des Bolivarischen Geheimdienstes (Sebin)“ benannt. Ein Aktivist sei gar entführt worden. All dies geschah „unter den mitschuldigen Blicken der Bolivarischen Nationalpolizei, die die Arbeiterinnen und Arbeiter auch daran hinderte, zur Vizepräsidentschaft der Republik zu gelangen.“    

Die Übergriffe seien nicht überraschend erfolgt. Im UZ-Artikel heißt es: „Repressionen und Verleumdungen gegen die Mitglieder der Kommunistischen Partei Venezuelas sind nichts Neues. Die PCV hält in diesem Zusammenhang fest: 'Diese Ereignisse zeigen, dass die antikommunistische Kampagne, die von den Sprechern der PSUV-Führung und ihren politischen Akteuren in den Medien geführt wird, eine gewalttätige Wendung genommen hat, um vergeblich zu versuchen, die eindeutige Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem neoliberalen Anpassungsplan, der von der antikommunistischen Regierung von Nicolás Maduro umgesetzt wird, zu neutralisieren. (…)'“

Das einst so solidarische Verhältnis zwischen der regierenden PSUV und der PCV hat sich in ein gegnerisches, ja feindliches verkehrt. Das Tischtuch zwischen beiden Parteien scheint endgültig zerschnitten. Gewandelt hat sich ganz offensichtlich aber auch das Verhältnis zwischen der PSUV, der einst von Hugo Chávez gegründeten Bewegung, und der DKP, deren Zeitung sich die Sichtweise der PCV zu eigen macht. Sind also die Zeiten vorbei, in denen die DKP solidarisch an der Seite Venezuelas stand? Es sieht ganz danach aus, wenn jetzt die bolivarische Regierung unter Maduro in eindeutig abwertender Diktion als „sozialdemokratisch“ und „antikommunistisch“ bezeichnet wird. Damit würde die DKP der Partei Die LINKE folgen, die bereits vor Jahren auf Distanz zu Venezuela ging. So bezeichnete Gabi Zimmer, die Europaabgeordnete der Linkspartei, 2003 Hugo Chávez als „Polithasardeur“.

Wirtschaftspolitischer Kurswechsel der Regierung Maduro

Doch was ist der Hintergrund des jetzigen Zerwürfnisses zwischen der Regierung unter Maduro und der PCV? Aus dem UZ-Artikel erfährt man darüber so gut wie nichts. Man beschränkt sich auf die Wiedergabe der Sicht der PCV. Informativer ist da schon ein Artikel vom 3. August 2022 von Ociel Alí López auf RT Deutsch. Ociel Alí López ist Soziologe, politischer Analyst und Dozent an der Universidad Central de Venezuela. Im RT-Artikel heißt es unter der Überschrift "Eine neue Rechte in Venezuela?": „Die Regierung von Nicolás Maduro versucht gegenwärtig, die Beschränkungen durch die Sanktionen der USA und der EU zu durchbrechen und eine neue Wirtschaftsentwicklung Venezuelas in Gang zu setzen. Sie zielt auf eine verbesserte Industrialisierung, landwirtschaftliche Produktion und Selbstversorgung ab. Maduro will dafür internationale Investitionen durch Wirtschaftsallianzen vor allem mit Mitgliedstaaten der OPEC anlocken. Es liegt nahe, dass im Zuge dieser Entwicklung auch Sozialmaßnahmen und das Lohngefälle unter die Konkurrenzbedingungen der kapitalistischen 'Investments' fallen.“

Diese neue Wirtschaftspolitik kann nur vor dem Hintergrund der desaströsen Lage verstanden werden, in der sich Venezuela während der ersten Amtszeit von Maduro 2013 bis 2018 befand. In diesen Jahren brachen staatliche Dienste reihenweise zusammen, Millionen Menschen emigrierten, Mangelernährung war in ganzen Bevölkerungsgruppen verbreitet. Eine Armee hungriger Menschen drang in die Mülldeponien ein. Die Inflation entwickelte sich zur Hyperinflation. Selbst Benzin wurde knapp – und das in einem Land mit einem der größten Erdölvorkommen weltweit!

Über die Ursachen dieses Niedergangs ist oft berichtet worden: Die harten Sanktionen der USA und der EU wirkten verheerend, die Anlagen zur Erdölförderung und Verarbeitung konnten deshalb kaum mehr gewartet, geschweige denn modernisiert werden. Im Kampf um die Macht versuchte die Bourgeoisie des Landes die Regierung Maduro durch Kapitalflucht und Investitionsstreiks zu stürzen. Zur tiefen Krise trugen aber auch Versäumnisse und Fehleinschätzungen der Regierung in Caracas selbst bei: Die verbreitete Korruption im Staatsapparat, eine überbordende Bürokratie und nicht zuletzt üppige Sozialprogramme.        

Unter der ÜberschriftMaßnahmen zur wirtschaftlichen Öffnung in Venezuela: Stabilisierung oder Demontage?beschrieb Ociel Alí López im Mai 2020 im Informationsdienst „Amerika 21“ die Ergebnisse dieses Kurswechsels: „Die Liberalisierungsmaßnahmen haben den Mangel verringert. Es gibt keine Warteschlangen mehr. Die Inflation ist nach wie vor hoch, aber die Stellen der von der Opposition kontrollierten Nationalversammlung verzeichnen für 2019 einen Rückgang im Vergleich zu 2018 und den Vorjahren. (…)

Die Veränderung ist täglich wahrnehmbar. Selbst in verarmten Bevölkerungsgruppen ist eine höhere Kaufkraft zu verzeichnen. Der öffentliche Transport hat sich verbessert. Viele Bereiche des Handels haben die schlimmsten Jahre der Krise überstanden und beginnen, wieder aufzuleben. Der Dollar wird in allen Gesellschaftsschichten verwendet. Es gibt neue Geschäfte und Läden. Der Diskurs über die humanitäre Krise ist unhaltbar geworden und aus den Mündern der Oppositionspolitiker verschwunden. (…) Vorbei sind die täglichen Bilder von Plünderungen auf Straßen und Dörfern im Landesinneren, die wir von 2016 bis 2018 sehen konnten.“

Als Gründe für diese relativ wirtschaftliche Stabilisierung benennt López: Der Zufluss harter Devisen durch Geldüberweisungen emigrierter Venezolaner, die Rückführung von ins Ausland transferiertem Kapital, das zu neuen Investitionen im Land anregte, eine verstärkte Goldförderung und der Einstieg in die „Schürfung“ von Kryptowährungen, die in Venezuela, einem Land mit extrem niedrigen Stromkosten, besonders lohnend ist.            

López verschweigt aber auch nicht die Schattenseiten dieses Schwenks: „Die drängendste Herausforderung und das Merkmal dieser Zeit ist der allgemeine Zusammenbruch der öffentlichen Dienste und die Unfähigkeit des Staates, dagegen anzugehen. Die Regierung kann nicht mehr für die öffentlichen Dienstleistungen sorgen, was eine Ära der Mikro- und Makroprivatisierungen einleitet. Wer Geld hat, kann sich auf Gesundheit, Transport, Bildung, Licht und Wasser verlassen. Wer kein Geld hat, wird es viel schwerer haben. Die Staatskasse wurde geplündert. Die Sozialprogramme (misiones sociales), die Chávez' erfolgreiche Sozialhilfepolitik waren, sind deutlich geschwächt worden: Medizinische Vorzeigezentren wie das in Las Mercedes inmitten der oberen Mittelschicht von Caracas, sind seit drei Jahren geschlossen; die vielen kubanischen Ärzte, die dort arbeiteten, haben sich zurückgezogen. (…) All dies wird zur Zunahme der Armut führen und das Leben des Landes in den kommenden Jahrzehnten sicherlich beeinflussen; aber vorerst bringt der wirtschaftliche Wandel direkt oder indirekt etwas Luft für alle sozialen Schichten.“

Angesichts dieser negativen Begleiterscheinungen kann es kaum überraschen, dass es zu Protesten und sozialen Unruhen kommt. Die in dem UZ-Artikel geschilderte Konfrontation zwischen dem venezolanischen Staatsapparat und der PCV ist Teil dieser Spannungen. Doch ist dies Grund genug, um der bolivarischen Regierung generell die Unterstützung zu entziehen, sie als „sozialdemokratisch“ und „antikommunistisch“ zu verurteilen – wie im UZ-Artikel geschehen?

Der antikolonialistische Kampf Venezuelas

Notwendig wäre doch vielmehr, die gesamte Situation in den Blick zu nehmen: Die von Hugo Chavéz angeleitete Bolivarische Revolution hat gewiss nicht den von den Linken weltweit erhofften „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ gebracht. Er blieb eine Schimäre – und wie konnte es auch anders sein in einem kaum industrialisierten Land, das fast ausschließlich von seinem Ölreichtum lebte und damit Sanktionen und internationalen Krisen hilflos ausgeliefert war.

Und doch schlug die Bolivarische Revolution ein neues Kapitel in der Geschichte des Landes auf, indem es erstmals die breiten Volksmassen zu Akteuren des geschichtlichen Prozesses bestimmte. Vor allem aber führt Venezuela einen antikolonialistischen Kampf gegen die westlichen Mächte USA und EU, die danach trachten die bolivarische Revolution rückgängig zu machen. Das Land ist weiterhin eng mit Kuba und Nicaragua verbunden, für deren Volkswirtschaften die günstigen venezolanischen Öllieferungen überlebenswichtig sind. Venezuela führt weiter die „Bolivianische Allianz für Amerika (ALBA)“ an, die unter Chávez gegründet wurde, um der US-amerikanischen Hegemonie etwas entgegenzusetzen. Das von Venezuela aus sendende „Fernsehen des Südens“ (Televisión del Sur -Telesur), leistet täglich eine gegenüber den einseitigen Medien des Westens alternative Berichterstattung. Auf globaler Ebene sieht sich das Land heute als Verbündeter Chinas und Russlands.

Die bolivarische Revolution ist daher nicht zu Ende. Auch deshalb ist Venezuela weiterhin harten Sanktionen der USA und der EU ausgesetzt. All diese Fakten müssen bei der Beurteilung des Landes berücksichtigt werden. Es reicht nicht aus, lediglich die Positionen einer Partei - selbst wenn es sich hier um eine kommunistische Partei handelt - unhinterfragt zu übernehmen und allein auf dieser Grundalge die Gesamtbewertung des Landes vorzunehmen.

Eine typische Kritik westlicher Marxisten      

Bei der Kritik an Venezuela zeigt sich ein Verhalten, das Domenico Losurdo bereits in seinem Buch „Der westliche Marxismus“ beschrieb und das er als typisch für das Verhalten der hiesigen Marxisten ansah: „Auch die auf intellektueller wie moralischer Ebene Mittelmäßigsten haben keine Schwierigkeit damit, die Zukunft der 'freien Entwicklung eines jeden' zu beschwören, von der das Manifest (MEW 4, S. 482) spricht, und gleichzeitig die politische Macht zu verurteilen oder zu diskreditieren, die aus der Revolution hervorgegangen ist und (in einer ganz anderen geopolitischen Lage) berufen war, die ihr drohenden Gefahren abzuwehren. Die konkrete Geschichte der neuen postrevolutionären Gesellschaft, die sich zwischen Widersprüchen, Versuchen, Schwierigkeiten und Fehlern aller Art zu entwickeln sucht, wird dann en bloc als Degeneration und Verrat an den revolutionären Idealen erledigt. Eine solche Haltung, die die wirkliche Bewegung im Namen der eigenen Phantasien und Träume verurteilt und ihre Verachtung für die 'stattfindende' und nahe im Namen der fernen und utopischen Zukunft zum Ausdruck bringt, diese Haltung, die Marx und Engels völlig fremd ist, beraubt den Marxismus jedes realen emanzipatorischen Gehalts.“ [1]  

Die Entsolidarisierung gegenüber dem heute mit ungeheuren ökonomischen, politischen und sozialen Problemen kämpfenden Venezuela folgt einem bekannten Muster. Bereits die Einführung der Neuen Ökonomischen Politik im revolutionären Russland 1921 und damit die Rückkehr zu marktwirtschaftlichen Regelungen wurde von vielen westlichen Kommunisten und Sozialisten als Wiedereinführung des Kapitalismus und damit als endgültiges Scheitern der Revolution verurteilt. Ähnlich erging es der Volksrepublik China nach der unter Deng Xiaoping Ende der 70er Jahre eingeleiteten Wende hin zu einer sozialistischen Marktwirtschaft. Nicht wenige linke westliche Marxisten versagten später China die Solidarität als westliche Staaten wegen der angeblichen Unterdrückung der Tibeter die Absage der Olympischen Spiele in Peking im Jahr 2000 verlangten. Begründung dafür: Mit dem Beitritt des Landes zur Welthandelsorganisation habe China bewiesen, dass es endgültig ein kapitalistisches Land geworden sei. Und mit solch einem Land müsse man nicht, ja dürfe man nicht solidarisch sein.                  

Es ist bemerkenswert, dass die UZ ihren Artikel über Venezuela der österreichischen „Zeitung der Arbeit“ entnommen hat, ein Medium mit einer sehr übersichtlichen Verbreitung, das Zentralorgan der „Partei der Arbeit“ - einer Organisation mit einer noch übersichtlicheren Anhängerschaft - ist. Der größte Fundus dieser Partei besteht darin, dass die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) – eine Partei mit echter Verankerung im Volk – sie als Schwesterpartei ansieht. Die KKE wiederum ist aber dafür bekannt, dass sie China schon seit langem als kapitalistisches Land bewertet, und Russland im Ukraine-Krieg als imperialistische Macht verurteilt. Das ist selbstredend auch die Sichtweise der „Partei der Arbeit“. Es ist besorgniserregend, dass sich nun auch die DKP solchen Positionen gegenüber öffnet.[2]                   

 

[1] Domenico Losurdo, Der westliche Marxismus – Wie er entstand, verschied und auferstehen könnte“, Köln 2021, S. 248

[2] So sieht auch das prominente DKP-Mitglied Lucas Zeise China als kapitalistisch an. Vgl. Andreas Wehr, „China ein kapitalistisches Land?“, . Auch finden sich in der DKP gegenwärtig immer wieder Stimmen, vor allem in ihrer Jugendorganisation SDAJ, die das Vorgehen Russlands in der Ukraine als klassischen imperialistischen Angriffskrieg ansehen.

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