Sozialismusdiskussion nach dem Scheitern des versuchten Sozialismus

Zur Bedeutung des Zieles für den richtigen Weg.

Liebe Genossinnen und Genossen,

wie aus der Überschrift meines Vortrags hervorgeht, habe ich mir die nicht ganz einfache Aufgabe gestellt, über zwei Dinge sprechen zu wollen: Zum einen über das Scheitern des versuchten Sozialismus und zum anderen über die Möglichkeit, jetzt und heute überhaupt eine Sozialismusdiskussion führen zu können. Beide Elemente beziehen sich natürlich aufeinander, da offen oder auch unausgesprochen die Frage dahinter steht: Kann es heute, nach dem Epochenwechsel 1989/91, nach dem Ende des sozialistischen Versuchs zumindest in Europa, überhaupt noch eine ernsthafte Sozialismusdiskussion geben? Nicht wenige verneinen dies, oft verbunden mit dem Hinweis, dass es angesichts des Fehlens jeglicher Voraussetzungen für einen erneuten sozialistischen Anlauf zunächst und allein darum gehe, die noch verbliebenen Kräfte zu bündeln etwa im Kampf gegen den Sozialabbau. Eine Sozialismusdiskussion sei dagegen heute weltfremd und führe nur zu einer Ablenkung der wenigen Aktiven.

Andere sehen, angesichts der Monstrosität des Zusammenbruchs des versuchten Sozialismus und der ungebremsten Wucht der gegenwärtigen kapitalistischen Offensive in Form der Globalisierung, überhaupt keine Chance mehr für die Formulierung eines integralen Projektes sozialistischer Veränderung. Einer der so pessimistisch urteilt, ist unser früherer Mitstreiter und langjährige Büroleiter des Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse, Ulli Schöler, der in seinem Buch "Ein Gespenst verschwand in Europa" die Schlussfolgerung zog: "Insbesondere für den Teil der Linken, der sich ...wie kritisch auch immer - an der vermeintlichen Schlüssigkeit eines Denkgebäudes eines wissenschaftlichen Sozialismus orientiert hat, wird es nicht leicht fallen, die Suche nach dem neuen integralen Gesamtprojekt aufzugeben und sich mit der Notwendigkeit der Autonomie verschiedener Problemzusammenhänge und der erwachsenden Aufgaben anzufreunden." Verlangt wird von ihm mithin der Abschied vom Sozialismus als Wissenschaft.

Auch wenn ich diese Position nicht teile, so muss man sich doch mit ihr ernsthaft auseinandersetzen. In meinen Ausführungen will ich daher Gründe dafür nennen, dass eine Sozialismusdiskussion heute , in deren Mittelpunkt ein solch integrales Gesamtprojekt zu stehen hat, keineswegs zu einer Schwächung, sondern vielmehr sogar zu einer Stärkung der verbliebenen Sozialisten führen kann.

I.

Doch zunächst möchte ich denjenigen, die heute die Unmöglichkeit einer solchen Diskussion mit Blick auf den gescheiterten sozialistischen Versuch begründen, zu Bedenken geben, dass die kritische Bezugnahme auf die Existenz des sozialistischen Lagers gewiss eine der ausgesprochenen bzw. auch nicht ausgesprochenen Voraussetzungen der Sozialismusdiskussionen der siebziger und achtziger Jahren in den westlichen Staaten war. Es war aber eben nur eine der Bedingungen. Eine andere, möglicherweise wichtigere, lag in der Renaissance sozialistischen Denkens innerhalb der damaligen westeuropäischen Sozialdemokratie begründet. In diesem Kontext entstanden 1980 auch die "Herforder Thesen zur Arbeit von Marxisten in der SPD". 1

Ich möchte erinnern an die antikapitalistischen Positionen der 1971 neu entstandenen Sozialistischen Partei Frankreichs, an die sich zunächst selbstbewusst links von den Kommunisten einordnenden Sozialisten Spaniens und Portugals, an den hoffnungsvollen Beginn der griechischen PASOK oder an die Orientierungsrahmendiskussion der SPD. Insbesondere dieser 1973 beschlossene Ökonomisch-politische Orientierungsrahmen für die Jahre 1975-1985 kann exemplarisch als Dokument einer damals geführten Diskussion angesehen werden, mit Hilfe des Staates größere soziale Gerechtigkeit erreichen zu wollen. Unter der Überschrift "Bedingungen und Aufgaben der Reformpolitik in der Bundesrepublik" heißt es denn auch in diesem Dokument: "Bei der Erfüllung des Verfassungsauftrages zum Ausbau des sozialen Rechtsstaates und unter den Bedingungen einer modernen arbeitsteiligen Volkswirtschaft kann der Staat die Wirtschaft nicht sich selbst überlassen oder sich auf die Beseitigung der Folgen wirtschaftlicher Fehlentscheidungen beschränken." 2

Begünstigt wurde diese Wiederbelebung sozialistischer Diskussionen in Europa durch den eurokommunistischen Aufbruch, der, erstmals seit dem Einsetzen des Kalten Krieges Ende der vierziger Jahre, wieder eine Verständigung zwischen Sozialisten und Kommunisten möglich machte, fixiert etwa im gemeinsamen Regierungsprogramm der Linken in Frankreich vom 27. Juni 1972. Bei der Ausarbeitung der Herforder Thesen erhielten wir von der linken Gruppe Centre d'Etudes, de Recherche et d'Education (CERES) innerhalb der französischen Sozialistischen Partei wichtige Anregungen. Der Bremer Sozialdemokrat Detlev Albers bezeichnete in seinem Referat auf der Konferenz über die Herforder Thesen Ende Oktober 1980 in Bielefeld diese theoretischen Positionen des CERES als einen der entscheidenden Bezugspunkte der Thesen. Er führte damals aus: "Erst vor dem Hintergrund der französischen und (...) der italienischen Arbeiterbewegung ist es uns gelungen, mit den Thesen zur Transformation des Staates eine neue Wende in die festgefahrenen Fronten der Staatsdebatte in der bundesdeutschen Linken hineinzutragen". 3

In diesen Jahren fand der Fortschritt aber nicht nur auf dem Papier statt. Und er beschränkte sich keineswegs auf die Verhältnisse in Frankreich oder Italien. So wurden in der Bundesrepublik Deutschland während der Ära des Bundeskanzlers Brandt die demokratischen Rechte gestärkt, auch wenn wir die unter dieser Regierung verhängten Berufsverbote natürlich nicht vergessen dürfen. Es wurden die Mitbestimmungsrechte für Arbeitnehmer erweitert, wenn dabei auch bei weitem nicht die Forderungen der Gewerkschaften erfüllt wurden. Es wurden die sozialen Sicherungssysteme ausgebaut und die Universitäten für breite Bevölkerungsschichten geöffnet. Noch erfolgreicher waren die Sozialdemokraten in jenen Jahren in den kleineren europäischen Ländern, etwa in Schweden oder in Österreich. Dort konnten sie über Jahrzehnte die Gesellschaft nachhaltig prägen.

All diese hoffnungsvollen Ansätze gerieten aber bereits zu einer Zeit in die Krise, als vom Scheitern der sozialistischen Versuchsgesellschaften noch keine Rede sein konnte. Ohne hier eine umfassende Analyse der noch andauernden Krise sozialistischen Denkens im Westeuropa liefern zu können, soll nur darauf hingewiesen werden, dass die progressiven Kräfte Westeuropas bereits Mitte der siebziger Jahre aufgrund einer planvoll und systematisch eingeleiteten Offensive des kapitalistischen Systems unter Druck gerieten. Als Stichworte seien genannt: Die Aufkündigung des Bretton-Woods-Systems der festen Wechselkurse, die Bündelung der Macht der kapitalistischen Metropolen USA, Westeuropa und Japan innerhalb der G 6, später der G 7-Runden, in deren Ergebnis u. a. Japan zur Liberalisierung seiner Finanzmärkte gezwungen werden konnte, des weiteren die Instrumentalisierung der Menschenrechte als Mittel zur Destabilisierung der sozialistischen Versuchsgesellschaften, etwa durch ihre Verankerung in der KSZE-Vereinbarung von Helsinki 1975. Endgültig in die Offensive kam "der Westen" mit den Wahlsiegen von Thatcher 1979 und Reagan 1980. Durch die von diesem amerikanischen Präsidenten in Gang gesetzte beispiellose Aufrüstung, die das "Todrüsten" der Sowjetunion zum Ziel hatte, wurde schließlich auch das Verhältnis zwischen West und Ost nachhaltig verändert mit der Folge, dass die latente Instabilität des Ostens sich dort zu einer Krise entwickelte, die das System am Ende nicht überleben lassen sollte. In dieser Epoche der Bündelung der Kräfte der kapitalistischen Metropolen, ausgelöst durch weltweit wachsende Verwertungsschwierigkeiten des Kapitals im Ergebnis des Auslaufens des in der Geschichte des Kapitalismus beispiellosen Nachkriegsbooms, ideologisch begründet mit der behaupteten Gefährdung der eigenen Handlungsfähigkeit aufgrund der Niederlage der USA in Vietnam, der als Bedrohung der westlichen Lebensweise verstandenen Erdölkrise, den Erfolgen sozialistischer Befreiungsbewegungen - etwa im südlichen Afrika - und schließlich mit der Herausforderung der als Auftakt für eine islamistische Weltbewegung interpretierten iranischen Revolution - alles Ereignisse der siebziger Jahre! - , leben wir noch heute. Möglicherweise wird man eines Tages auch den Untergang des europäischen sozialistischen Staatensystems lediglich als ein Moment dieser globalen kapitalistischen Offensive deuten, einer Offensive, geführt aus der Defensive eines in die Krise geratenen kapitalistischen Systems.

In den europäischen sozialdemokratischen Parteien sind diese, hier nur angedeuteten Ursachen des Abschieds von sozialistischen oder auch nur sozialstaatlichen Positionen bis heute nicht einmal im Ansatz begriffen und aufgearbeitet. Immerhin verschwand ja 1989/91 nicht nur das "Gespenst des Kommunismus" aus Europa, seitdem fürchtet sich auch kein Kapitalbesitzer mehr vor einem "sozialdemokratischen Gespenst", ganz im Gegenteil. So haben die kapitalismuskritischen Aussagen des erst vor gut fünfzehn Jahren beschlossenen und formell noch heute gültigen Berliner Grundsatzprogramms der SPD für diese Partei keinerlei Bedeutung mehr. Ein Blick in dieses Programm lohnt dennoch allein nur, um eine Ahnung davon zu bekommen, wie weit sich die deutsche Sozialdemokratie inzwischen von diesen Positionen entfernt hat. In ihm heißt es etwa: "In der Wirtschaftsdemokratie haben gesellschaftliche Ziele Vorrang vor den Zielen privatwirtschaftlicher Kapitalverwertung. Nicht wirtschaftliche Macht oder marktbeherrschende Unternehmen dürfen der Politik den Handlungsrahmen vorgeben, sondern demokratisch legitimierte Entscheidungen müssen im Interesse des Gemeinwohls Rahmen und Ziele für wirtschaftliches Handeln setzen." Und:" Ökologisch und sozial verantwortbares Wirtschaften lässt sich nur erreichen, wo der Vorrang demokratischer Entscheidungen vor Gewinninteressen und Wirtschaftsmacht durchgesetzt wird." 4 In diesem Grundsatzprogramm findet sich auch die Formulierung: "Gerechtigkeit erfordert mehr Gleichheit in der Verteilung von Einkommen, Eigentum und Macht, aber auch Zugang zu Bildung, Ausbildung und Kultur". 5 Es muss sich in der seitdem vergangenen Zeit offensichtlich viel getan haben, dass der ehemalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident und Wirtschaftsminister des Kabinetts Schröder/Fischer, Wolfgang Clement, in einer programmatischen Rede zur Eröffnung der neuen Grundsatzprogrammdebatte seiner Partei sagen konnte: "...begrenzte Ungleichheit im Ergebnis kann sehr wohl auch ein Katalysator sein für individuelle als auch für gesellschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten. Sie kann damit auch dem Anspruch dienen, ein realistisches Mehr an Gerechtigkeit zu schaffen." 6

Heute halten die deutschen Sozialdemokraten der Linkspartei.PDS immer wieder den Spiegel ihrer kommunistischen Vergangenheit vor und treiben sie an, in der Aufarbeitung ihrer Geschichte nicht nachzulassen. Für die jüngsten Wendungen und Brüche in ihrer eigenen sozialdemokratischen Parteigeschichte scheint dies aber offensichtlich nicht zu gelten. Dabei wäre die Erhellung der Gründe für das vollständige Aufgeben der zitierten programmatischen Ziele der SPD von 1989 für die Zukunft der europäischen Sozialdemokratie von mindestens ebenso großer Bedeutung, wie es die Aufarbeitung des Scheiterns des sozialistischen Versuchs für die Perspektive der ehemals kommunistischen Parteien ist.

Mit diesen Hinweisen auf die unbeantworteten Fragen zum Weg der Sozialdemokratie soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass die im Rahmen des sozialistischen Versuchs gemachten Fehler und begangenen Verbrechen bagatellisiert werden sollen. Im Gegenteil: Mit der Feststellung, dass die ökonomische und ideologische Offensive des Westens vor den Grenzen der sozialistischen Staaten nicht halt machte, wird zugleich ein zentraler Irrtum benannt, dem die Verantwortlichen in diesen Ländern bis zum bitteren Ende verhaftet blieben, der Vorstellung nämlich, man könne einen Teil der Welt - und dazu noch den ökonomisch eindeutig schwächeren - dauerhaft gegen den anderen Teil abschirmen und weitgehend ungestört entwickeln. Dieser Vorstellung von der Möglichkeit der Schaffung einer zweiten Welt lag die Illusion zugrunde, den Klassenkampf in diesen Ländern selbst und zwischen den politischen Lagern in Ost und West auf Dauer zu den Akten legen zu können. Dabei hätte man es besser wissen können, und anfangs hatte man es auch noch besser gewusst. Schließlich war der Kapitalismus bereits zu anderen Zeiten ein äußerst dynamisches, keine Grenzen kennendes, aggressives System, über den es schon im Kommunistischen Manifest hieß: "Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen." Und Bertolt Brecht formulierte den Gedanken einer Unmöglichkeit des Aussteigens aus der einen Welt 1955 wie folgt: "Der Park kann nicht gedacht werden, ohne dass der Urwald gedacht wird. Es ist der bezwungene Urwald. Hört der Zwang auf, wird er wieder Urwald. Beide können auch verschwinden, sie arbeiten darauf hin".

Wie schon wie bei der skizzierten Entwicklung der sozialdemokratischen Parteien des Westens muss es ebenso bei der Benennung der Gründe für das Scheitern des sozialistischen Versuchs bei wenigen Strichen bleiben. Ohne in dem Streit eindeutig Partei nehmen zu wollen, was wann ausschlaggebend für das schließlich eingetretene Ende war, verschränkten sich aus meiner Sicht die äußerst ungünstigen Ausgangsbedingungen der jungen Sowjetunion, die über die gesamten 70 Jahre anhaltende militärisch unterlegte äußere Bedrohung, gravierende ökonomische Versäumnisse, subjektive Fehler und illusionäre Selbsttäuschungen über die Entwicklungsfähigkeit dieses Regimes, die selbst bei bestem Willen mit der offenkundig ernüchternden Wirklichkeit nicht mehr in Deckung zu bringen waren, zu einem unentwirrbaren Knäuel von Widersprüchen und Blockaden, aus dem es am Ende kein Entrinnen mehr gab. Dabei wurde unter den Trümmern dieser eingestürzten Gesellschaftsordnungen auch das begraben, was sie einstmals positiv von den kapitalistischen Ländern abgehoben hatte. Erst heute beginnen die Menschen dort, nicht selten unter dem Eindruck erbärmlichster Lebensumstände, sich dieser Leistungen zu erinnern. Ich erinnere an die flächendeckende und kostenlose Gesundheitsversorgung, an das in weiten Teilen vorbildliche Bildungswesen, auf deren Basis hervorragende wissenschaftliche Leistungen hervorgebracht wurden, an die kulturellen Angebote, die auch breiten Bevölkerungsschichten auf dem flachen Land offenstanden, an die Förderung ganzer, bis dahin vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossener Schichten der Bevölkerung, an die erfolgreich vorangetriebene Auflösung einstmals als unüberwindlich angesehener Klassenspaltungen und an die Gewährleistung umfassender sozialer Sicherheit, die erst die materielle Grundlage auch für eine wirkliche Emanzipation der Frauen schuf.

Natürlich ist es heute, nach dem Abschluss des sozialistischen Versuchs, sehr viel leichter, sich einen Überblick und schließlich ein Urteil über das Gewesene zu verschaffen. Niemand besaß in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine ausreichende Hell- und Weitsichtigkeit, um die damals gerade erst heraufdämmernden Gefährdungen und Herausforderungen in ihrem vollen Umfang auch nur erahnen zu können. Dies galt natürlich auch für uns Autoren der Herforder Thesen, die dennoch 1980 eine Bewertung des sozialistischen Versuchs wagten. In den Herforder Thesen heißt es dazu: "Seit der sozialistischen Oktoberrevolution in Russland ist die Lebensfähigkeit eines großen, zahlreiche Nationen umfassenden Staates, der sich aus eigener Kraft den Weg zum Sozialismus bahnt, für jedermann unübersehbar geworden.(...) Die mit ungeheuren Opfern verbundene rasche Industrialisierung der Sowjetunion, ihr ausschlaggebender Beitrag zur Niederringung des deutschen Faschismus und ihr Aufstieg zum zweitmächtigsten Staat der Welt haben seitdem die Bedeutung des ersten sozialistischen Landes weit über die eigenen Grenzen hinaus gefestigt. Dies kann andererseits nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Stalin-Ära, die fortbestehenden, auch strukturell tradierten Einschränkungen individueller und kollektiver Freiheitsrechte sowie die militärischen Interventionen in der CSSR und in Afghanistan die innere Fortentwicklung der sozialistischen Länder wie ihr internationales Ansehen nachhaltig beeinträchtigen. Ein erheblicher Teil dieser Probleme ist zweifellos darauf zurückzuführen, dass sich die bestehenden sozialistischen Länder über einen unerwartet langen Zeitraum in die ihre eigene gesellschaftliche Entwicklung dominierenden Zwänge der Systemauseinandersetzung mit den kapitalistischen Ländern eingebunden finden. Linke Sozialdemokraten in der Bundesrepublik werden ähnlich wie seinerzeit Otto Bauer weder den fortschrittlichen Grundcharakter der in der Sowjetunion verwirklichten Produktionsverhältnisse leugnen oder vergessen lassen, noch unterschätzen sie die Bedeutung des sozialistischen Lagers als ein überall in Rechnung zu stellendes Gegengewicht gegenüber den Vorherrschaftsbestrebungen einzelner kapitalistischer Staaten und den von ihnen repräsentierten Monopolinteressen. Ebensowenig aber werden sozialdemokratische Marxisten, die in ihrem eigenen Land für einen prinzipiell anderen Weg zum Sozialismus eintreten, auf die Äußerung offener, solidarischer Kritik an solchen Entscheidungen der Sowjetunion wie der anderen sozialistischen Staaten verzichten, die der Sache des internationalen Sozialismus abträglich sind." 7

Dieser, aus meiner Sicht durchaus differenzierten Sichtweise einer kritischen Solidarität ließe sich vor dem Hintergrund des heutigen Erkenntnisstandes sicherlich noch so manches hinzufügen, in ihren Kernaussagen hat sie aber noch heute Bestand. Ich möchte hier daran erinnern, dass seinerzeit diese Aussagen weder in der Mehrheitssozialdemokratie, noch bei den bundesdeutschen Kommunisten auf Wohlwollen stießen, wenn auch - wie sich jeder sicherlich denken kann - aus gänzlich gegensätzlichen Gründen. Kritisierte etwa Peter Glotz die Aussage über den "fortschrittlichen Grundcharakter der in der Sowjetunion verwirklichten Produktionsverhältnisse", so blieben wir für die anderen, für die deutschen Kommunisten, "auf halben Wege stehen", waren wir für sie doch unverbesserliche Reformisten. Übrigens: Nicht wenige dieser damaligen Kritiker von links lassen heute kein gutes Haar mehr an der DDR und der Sowjetunion. Viele von ihnen sind inzwischen zu der grandiosen Erkenntnis gelangt, dass der Kapitalismus nun einmal das überlegene, da modernere Gesellschaftsmodell sei. Man sieht, der Platz zwischen den Stühlen ist in bestimmten historischen Situationen sicherlich nicht der bequemste aber manchmal eben der einzig mögliche.

II.

Was folgt nun aus diesen hier skizzierten Erfahrungen und Schlussfolgerungen angesichts des Scheiterns dieser beiden wohl unterschiedlichen aber doch auch immer wieder sich aufeinander beziehenden Ansätze? Was können, was müssen wir aus den zu Ende gekommenen sozialdemokratischen und kommunistischen Versuchen lernen? Schließlich: Wie kann eine Sozialismusdiskussion vor diesem Hintergrund heute geführt werden? Ich will mich auf einige Anmerkungen beschränken und die sich heute stellenden Aufgaben nur umreißen.

Mein Ausgangspunkt soll das bekannte Zitat aus der Deutschen Ideologie von Karl Marx und Friedrich Engels sein, in dem sie kurz, ja fast beiläufig, definierten, was sie unter Kommunismus verstanden: "Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben wird. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt." 8 Diese Hervorhebung der Zentralität der Praxis findet sich bei Marx schon in den Thesen über Feuerbach, wenn es dort in der ersten These heißt: "Er (Feuerbach) begreift daher nicht die Bedeutung der revolutionären, der praktisch-kritischen Tätigkeit". Noch deutlicher wird dieser Gedanke in der zweiten These formuliert: "Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muss der Mensch die Wahrheit, i. e. Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit des Denkens - das von der Praxis isoliert ist - ist eine rein scholastische Frage." 9 Was heißt dies nun für unser Vorgehen in einer zu führenden Sozialismusdebatte? Ich möchte meine Überlegungen dazu in sechs Thesen zusammenfassen:

  1. Der von mir gewählte historisch-materialistische Ansatz von der Bedeutung der Praxis sollte uns davor bewahren, die heute ausgebreitet vor uns liegenden geschichtlichen Ereignisse im Stile eines dogmatischen, da ökonomistischen und letztlich "kapitulierenden Marxismus" 10 zu interpretieren, der im schließlichen Ende des sozialistischen Experiments in Europa nur eine "logische" und daher unausweichliche Konsequenz eines verfrühten, da auf unterentwickelter, unreifer kapitalistischer Basis beruhenden Sozialismus sehen kann. Aus dieser Sicht gehen ebenso die noch bestehenden nichtkapitalistischen Gesellschaften - etwa die Chinas, Vietnams oder Kubas - gleichsam den unvermeidlichen Weg zurück zu kapitalistischen Verhältnissen. Von jenen Puristen der "abzuwartenden Kapitalentfaltung" wird denn auch immer wieder die "Rückkehr zum unverfälschten Marx" gefordert, so als könne man die Geschichte des Sozialismus unbeachtet lassen, als hätte sich rein gar nichts besonderes ereignet und als sei man in der Lage, wieder unbelastet und rein von vorn beginnen zu können.

    Doch im Marxismus kann "Theorie nicht als eine dem praktischen Leben gegenüberstehende und von ihm verschiedene, betrachtende, kontemplative Geistestätigkeit aufgefasst werden (bzw. als deren Produkt), sondern als die sich im Bewusstsein von Subjekten sich widerspiegelnde gegenständliche Tätigkeit." 11 Eine puristische Herangehensweise, die dieses Verhältnis von Theorie und Praxis ignoriert, würde uns zwar der Aufgabe entheben, über die Irrtümer, Fehler und auch Verbrechen, die sich im Namen des Sozialismus ereigneten, nachzudenken, für sie Verantwortung zu empfinden und schließlich Konsequenzen aus ihnen für unser zukünftiges Handeln zu ziehen. Doch damit wären wir, als dann geschichtslose Wesen, auch gezwungen, womöglich die Irrtümer vergangener Generationen von Sozialistinnen und Sozialisten zu wiederholen, vor allem wäre uns aber der Blick auf grundlegende von der Arbeiterbewegung erreichte Fortschritte verwehrt, die, trotz aller zu beklagenden Rückschläge, auch von ihren ärgsten Widersachern nicht mehr ungeschehen gemacht werden können.

    Eine solche geschichtslose Haltung kann man getrost den verschiedenen trotzkistischen Grüppchen und Parteiungen überlassen. Ihre traditionelle Distanzierung von der von ihnen pauschal und zugleich diffamierend als "stalinistisch" bezeichneten gesamten Geschichte des Sozialismus bescherte ihnen denn auch nach den Ereignissen von 1989/91 eine vorübergehende Blüte, vor allem in Frankreich und in Großbritannien. So gelang zwei französischen trotzkistischen Parteien 1999 sogar der Einzug in das Europäische Parlament. Und hier in Deutschland erleben wir gegenwärtig, wie trotzkistische Positionen in der WASG Einfluss zu nehmen versuchen. Ihren Aufschwung verdanken sie zweierlei Umstände: Dem Bedürfnis Vieler nach einer neuen Radikalisierung, was von den sich sozialdemokratisierenden ehemals kommunistischen Parteien nicht aufgegriffen wird. Zum anderen passen sich die trotzkistischen Gruppen geschickt dem antikommunistischen Mainstream an, indem sie mit der realen Geschichte des Sozialismus nichts zu tun haben wollen, sich vielmehr von ihr pauschal distanzieren, und entgehen damit der gesellschaftlichen Ächtung.

  2. Doch die Geschichte des Sozialismus lässt sich weder ungeschehen machen, noch lässt sie sich einfach auftrennen dem Muster entsprechend: Hier sozialdemokratischer Westen und dort kommunistischer Osten. Wie doch beide politischen Strömungen auf das engste miteinander verwoben sind, indem sie beide dem europäischen Erbe der Aufklärung und der Emanzipation des Proletariats entspringen, hat gerade Luciano Canfora mit seinem Buch "Kurze Geschichte der Demokratie" sehr überzeugend aufgezeigt.

    So wurde mit der Parlamentarisierung der westlichen bürgerlichen Staaten der Rechtsstaatsgedanke, wie der linkssozialdemokratische Verfassungstheoretiker Otto Kirchheimer 1928 formulierte: "ursprünglich das zaghafte Kampfmittel der Schichten von Besitz und Bildung, denen es insbesondere darum zu tun war, die Ausschließlichkeit ihrer finanziellen Herrschaft zu befestigen und die Sicherheit ihrer privaten Aktionen nicht den Gefahren einer unzuverlässigen Rechtsprechung auszusetzen, zu einer Grenzscheide zweier kämpfender Gruppen, die beide weit davon entfernt sind, in ihm das endgültige Gesetz der inneren Machtverteilung zu empfinden." 12

    Für Russland galt und gilt, dass mit der Oktoberrevolution - wie es der Austromarxist Otto Bauer seinerzeit formulierte und wie er in den Herforder Thesen zitiert wurde -, "zum ersten Mal das Proletariat die Herrschaft über einen großen Staat an sich gerissen" hat. Damit wurde auch die Lebens- und Entwicklungsfähigkeit eines Gesellschaftsmodells bewiesen, das nicht länger auf dem Privateigentum an Produktionsmitteln beruhte. Dies bleibt eine unleugbare Tatsache, auch wenn dieses Modell schließlich, nach gut sieben Jahrzehnten sehr wechselvoller Erfahrungen und auch großer Erfolge, scheiterte.

    Beide geschichtlichen Ereignisse, im Westen wie im Osten, markieren jeweils den Eintritt der geschichts- und machtlosen Massen in die bis dahin nur den besitzenden und gebildeten Schichten zugänglichen politischen Arenen, wo mit ihnen seitdem zu rechnen ist. Für die vorher nur als Idee existierende Vorstellung vom Sozialismus bedeutete dieser Einschnitt, dass er sich in der Wirklichkeit zu bewähren hatte, es zu beweisen war, dass er nicht utopischer Sozialismus sondern wissenschaftliche Weltanschauung ist. Damit kann aber auch gesagt werden, dass die Menschheit als Ergebnis der europäischen Umwälzungen und Revolutionen am Ende des ersten Weltkrieges und dann global in Folge des zweiten Weltkrieges endgültig in die Epoche des Übergangs zum Sozialismus eingetreten ist, wobei niemand voraussagen kann, welche Ereignisse wo und wann als nächste eintreten werden, welche Konflikte die Zukunft bereit hält und wie lange der Übergangsprozess insgesamt dauern wird. Wir sollten aber immer darauf gefasst sein, dass die Geschichte hier zu Überraschungen und Sprüngen fähig ist. Wer hätte etwa noch Anfang der neunziger Jahre den gegenwärtigen Aufschwung fortschrittlicher und sogar revolutionärer Bewegungen in Lateinamerika, vor allem in Venezuela und in Bolivien, für möglich gehalten?

  3. In der gegenwärtigen Phase allgemeiner Niedergeschlagenheit, lähmender Schwäche der sozialistischen Bewegung und des Zweifels so vieler an einer überhaupt möglichen Realisierbarkeit einer anderen, dem Kapitalismus gegenüber alternativen Gesellschaft, ist es durchaus angebracht, sich vergleichbarer Perioden der Geschichte zu erinnern. In seinem Aufsatz "Demokratische Revolution oder Restauration?" erinnert etwa der italienische Philosoph Domenico Losurdo an die im Lauf der geschichtlichen Entwicklung äußerst unterschiedliche, ja gegensätzliche Bewertung der französischen Revolution. "Denken wir an das, was mit der französischen Revolution seinen Anfang genommen hatte: zum Zeitpunkt zu dem das eintritt, was alle Geschichtsbücher Restauration nennen, scheint es schwierig, das Scheitern des Programms oder der Hoffnungen des Jahres 1789 in Abrede zu stellen, auf das der Terror, die hemmungslose Korruption der Jahre nach dem Thermidor, die Militärdiktatur und dann das Kaiserreich folgten, mit einem Kaiser-Kondottiere, der jede Menge Länder erobert, die er dann Freunden und Verwandten übergibt, einer patrimonialen Staatsauffassung zufolge, die nicht nur jedes demokratische Prinzip mit Füßen tritt, sondern das Ancien Régime in seiner schlimmsten Form wieder einführen will. (...) Im Jahr 1814 waren also die Hoffnungen und die Projekte, die das Jahr 1789 genährt hatte, ausgelöscht. Die Rückkehr der Bourbonen instaurierte ein Regime, das zweifellos liberaler als der Terror, die Militärdiktatur und das kriegerische und expansionistische Reich war, die der revolutionären Bewegungen gefolgt waren; es bleibt jedoch die Tatsache bestehen, dass diese Rückkehr ein Moment der Restauration bildet." 13 Wer wird bei diesen Zeilen nicht an die gegenwärtige Bewertung des sozialistischen Versuchs erinnert? Womöglich wird die heutige kapitalistische Rückwende auch einmal in den Schulbüchern so einhellig als Restauration bewertet werden, wie dies für den Zeitraum nach dem Wiener Kongress 1815 für ganz Europa gilt. Wir wissen das nicht.

  4. Wenn die zu führende Sozialismusdiskussion sich so - wie von mir angedeutet - offen gegenüber dem sozialistischen Erbe und dem Erfahrungsschatz der verschiedenen Traditionen der Arbeiterbewegung verhält und den Fehler vermeidet, idealistisch auf eine "ursprüngliche und reine" Theorie zurückgehen zu wollen, wo sind dann die Anknüpfungspunkte zu suchen, die uns Antworten auf gegenwärtige Fragen bieten? Ich möchte hier einige Stichworte nennen:

    Zunächst sollten die Auseinandersetzungen über den einzuschlagenden Weg in den noch bestehenden sozialistischen Staaten nicht hochmütig und vorschnell als solche bewertet werden, die nur einen Ausgang offen lassen, nämlich den der Rückkehr zum Kapitalismus. Womöglich werden ja jene Skeptiker Recht behalten und auch in diesen Ländern die sozialistischen Versuche scheitern. Und doch verdienen diese, vor allem in China und in Vietnam unternommenen Experimente der Nutzung marktwirtschaftlicher Elemente unter politischer Kontrolle eines sozialistischen Staates unsere Aufmerksamkeit, werden hier doch gegenwärtig Antworten auf Fragen formuliert, die schon morgen auch für andere Staaten relevant werden können, die sich von den kapitalistischen Zentren zu emanzipieren versuchen.

    In einem engen Zusammenhang mit diesen, in ihrem Ausgang noch offenen Experimenten, steht die ausstehende Aufarbeitung der staatskapitalistischen Phase unmittelbar nach der russischen Revolution als auch die der "Neuen Ökonomischen Politik" ab Ende 1922 in der Sowjetunion, die deshalb noch heute von Interesse sind, da in den dort gefundenen Antworten der Umstand reflektiert wird, dass - im Unterschied zur bürgerlichen Revolution - die sozialistische nie auf das Reifwerden der objektiven Bedingungen für den Sozialismus rechnen kann oder jedenfalls nie in dem Maße, in dem es die bürgerliche Revolution tun konnte. 14 Unser Augenmerk ist daher auf die in der Geschichte gefundenen Lösungen von Übergangsschwierigkeiten gerichtet, die auch für uns heute noch von Bedeutung sind. Aus einem vergleichbaren Grund sollten wir uns ebenso mit dem tschechoslowakischen Experiment aus dem Jahre 1968 und mit dem 1963 in der DDR verkündeten "Neuen Ökonomischen System der Planung und Leitung" beschäftigen, da damals jeweils phantasiereich und undogmatisch auf Krisen des sozialistischen Aufbaus reagiert wurde. Es gibt heute keinen Zweifel, dass der erzwungene Abbruch dieser Experimente für die bis 1989/91 ausgeprägte Instabilität jener beiden Staaten von erheblicher Bedeutung war.

    Anknüpfungspunkte für eine aktuelle Sozialismusdiskussion ergeben sich aber auch aus der sozialdemokratischen Tradition. Ich erwähne hier nur die Ausarbeitungen der austromarxistichen Sozialdemokratie zwischen den beiden Weltkriegen - niedergelegt etwa in dem Linzer Programm - , auf die die Herforder Thesen im übrigen an mehreren Stellen Bezug nehmen oder auf die Diskussionen über Wirtschaftsdemokratie zu Beginn der fünfziger Jahre im DGB. In aller Bescheidenheit möchte ich auch auf die 14. der Herforder Thesen hinweisen, in der, in Anlehnung an die damalige französische Diskussion, die "Mindestschwelle der Vergesellschaftung" definiert wird. All diese Ansätze sind auch heute noch weitaus fruchtbarer da realitätsnäher als etwa willkürliche Spekulationen über eine "plurale Verteilung von Eigentum, Macht und Einfluss" 15, wie sie sich etwa in programmatischen Papieren der Linkspartei.PDS finden.

  5. Eine Sozialismusdiskussion in die diese und vergleichbare Antworten eingehen und damit für eine zukünftige Praxis fruchtbar gemacht werden, hat denn auch nichts gemein mit einem abstrakten Streben nach einer sozialen Utopie, dem moralisierenden Beschwören einer humanen Gesellschaftsethik oder der bloßen Bewahrung eines Erbes. Damit würde man den von Marx und Engels vollzogenen Übergang vom utopischen zum realistischen Sozialismus nicht gerecht, denn "dieser Übergang (...), der nicht phantastische Sehnsüchte ausmalt, sondern reale Entwicklungsmöglichkeiten beschreibt und ihre Verwirklichung erstrebt, ist mit der Ausbildung einer Wissenschaft von der Gesellschaft und ihren Triebkräften verbunden". 16

    Den Ausgangspunkt ihrer Wissenschaft von der Gesellschaft benannten Marx und Engels bereits in ihrem Aufsatz zur Deutschen Ideologie: "Die Voraussetzungen, mit denen wir beginnen, sind keine willkürlichen, keine Dogmen, es sind wirkliche Voraussetzungen, von denen man nur in der Einbildung abstrahieren kann. Es sind die wirklichen Individuen, ihre Aktion und ihre materiellen Lebensbedingungen, sowohl die vorgefundenen wie die durch ihre eigene Aktion erzeugten. Diese Voraussetzungen sind also auf rein empirischen Weg konstatierbar. Die erste Voraussetzung aller Menschheitsgeschichte ist natürlich die Existenz lebendiger menschlicher Individuen. Der erste zu konstatierende Tatbestand ist also die körperliche Organisation dieser Individuen und ihr dadurch gegebenes Verhältnis zur übrigen Natur (...). Alle Geschichtsschreibung muss von diesen natürlichen Grundlagen und ihrer Modifikation im Lauf der Geschichte durch die Aktion der Menschen ausgehen." 17

    Diesem Ansatz folgend, stellen sich sofort Fragen nach der jeweiligen gesellschaftlichen Organisation des Austausches des Menschen in und mit der Natur, d.h. nach den jeweiligen historischen Produktionsverhältnissen. Gehen wir einen Schritt weiter, so kommen die Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln in den Blick. Je nachdem welches Verhältnis die Menschen zu diesen Produktionsmitteln haben, gehören sie zur Bourgeoisie bzw. zum Proletariat oder - wie wir heute sagen würden - zu den Kapitaleignern oder zu den lohnabhängig Beschäftigten. Sie konstituieren damit jeweils Klassen, die sich unversöhnlich gegenüberstehen und ihren Kampf untereinander ausfechten. Da im Kapitalismus schließlich nur noch zwei Klassen einander gegenübertreten, enthält dieser Kampf in sich die potenzielle Fähigkeit, die Existenzbedingungen des Klassengegensatzes, d.h. die Klassen überhaupt, und damit diesen Widerspruch aufzuheben.

    "Die institutionelle Form, durch die dieser Widerspruch erzeugt, aufrechterhalten und verschärft wird, ist das Privateigentum an den Produktionsmitteln, das, wie es im Kommunistischen Manifest heißt, bürgerliche Eigentum. Es abzuschaffen, bedeutet die Aufhebung dieses Widerspruchs". 18 Die schließlich zu realisierende Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln stellt damit die Zielperspektive einer jeden ernsthaften Sozialismusdiskussion dar, auch wenn die Verwirklichung dieser Aufgabe heute noch in weiter Ferne liegt und gegenwärtig bestenfalls einige vorsichtige Schritte gegangen werden können, die diesen Prozess der Tendenz nach öffnen bzw. offen halten.

    Der historische Materialismus bietet demnach, da er von der Natürlichkeit der Menschen, von ihren Elementarbedürfnissen ausgeht, durchaus die Möglichkeit der Entwicklung jenes "integralen Gesamtprojekts", mit dessen Hilfe der innere Zusammenhalt der Welt als auch die Perspektive ihrer Entwicklung beschrieben werden können. Es gibt daher auch keinen Anlass, sich von ihm zu verabschieden.

III.

In diesem Abschnitt möchte ich einige Anmerkungen zum Entwurf "Programmatischer Eckpunkte auf dem Weg zu einer neuen Linkspartei" machen. 19 Dieser Text wurde von einer, von den Parteivorständen der Linkspartei.PDS und der WASG bestimmten, paritätisch besetzten Programmgruppe am 20. September 2006 der Öffentlichkeit vorgelegt.

Die Bedeutung dieses Eckpunktepapiers soll hier nicht überbewertet werden, dient es doch zunächst einmal der rechtlichen Ermöglichung der Gründung der neuen Partei, denn das Parteienrecht schreibt dafür das Vorliegen einer programmatischen Grundlage ausdrücklich vor. Vereinbart ist zwischen den beiden Parteivorständen zudem, dass, unmittelbar im Anschluss an die Gründung in 2007, die Debatte über ein Grundsatzprogramm der neuen Partei beginnen soll. Hier gilt demnach das Wort von Karl Marx an Wilhelm Bracke, wonach "jeder Schritt wirklicher Bewegung wichtiger ist als ein Dutzend Programme". Und dieser "Schritt wirklicher Bewegung" besteht jetzt in der überaus wichtigen und zeitlich auch nicht mehr aufschiebbaren Gründung einer vereinten, starken linken Partei in Deutschland durch Zusammenführung von Linkspartei.PDS und WASG. Obwohl man bekanntlich gegenüber historischen Vergleichen sehr vorsichtig sein sollte, so könnte man in den Eckpunkten ein neues Gothaer Programm sehen, das seinerzeit ebenfalls der Zusammenführung zweier Parteien diente und das von großer theoretischer Unklarheit gekennzeichnet war. Bekannt ist es heute nur noch aufgrund der Marxschen Kritik an ihm.

Wenn ich hier dennoch kritisch auf den Entwurf dieser Eckpunkte eingehe, so geschieht dies auch, um Auskunft über den gegenwärtigen Stand der analytischen und strategischen Positionen der wichtigsten Fraktionen innerhalb der deutschen Linken zu erlangen. Ich will diese, hier ausdrücklich als vorläufig bezeichneten Anmerkungen auf drei Aspekte richten:

  1. auf die in den Eckpunkten enthaltene Analyse der Gesellschaft, in der wir leben;
  2. auf die Frage nach dem Subjekt, das in der Lage ist, die notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen durchzusetzen und
  3. auf die historische Einordnung der neuen Partei in der Geschichte der Arbeiterbewegung und des Sozialismus.

Es geht demnach im Wesentlichen um die Abschnitte I. ("Gemeinsam für eine andere Politik") und um II. ("Eine andere Welt ist nötig") des Papiers. Auf den praktisch politischen Teil III unter der Überschrift "Unsere Alternative: Soziale, demokratische und friedensstiftende Transformation statt Entfesselung des Kapitalismus" wird nur insoweit eingegangen, als in ihm generelle programmatische Aussagen enthalten sind. Dieser Teil entspricht von seiner Diktion her eher einem Wahlprogramm. Die in ihm enthaltenen Positionen ähneln denen der Memorandumsarbeitsgruppe und sind zeitgemäße und adäquate Forderungen einer parlamentarisch aktiven Linken in der Bundesrepublik.

Doch zurück zu den Eingangskapiteln. In welcher Welt leben wir also gemäß den Programmatischen Eckpunkten? Gleich zu Beginn heißt es: "Zerstörerische Prozesse sind die Folge hochkonzentrierter Kapitalmacht, entstehen aus dem Vorrang der internationalen Finanzmärkte und aus dem Übergang der Herrschenden von einer Politik eines sozialstaatlich regulierten Kapitalismus zu einer marktradikalen, neoliberalen Politik." Das dafür verantwortliche Gesellschaftssystem wird im Text mal als "entfesselter Kapitalismus", mal als "gegenwärtiger Kapitalismus", als "moderner Kapitalismus" aber auch als "globaler Kapitalismus" bzw. als "neoliberaler Kapitalismus" bezeichnet, wobei zumindest die letzte Definition wohl ein Pleonasmus sein dürfte. Kapitalismus wird demnach stets mit einem adjektivischen Zusatz versehen. Wenn von "zerstörerischen Tendenzen des ungehemmten Marktes" gesprochen wird, tritt an die Stelle eines konkreten, geschichtlichen Gesellschaftssystems auch schon mal die wenig aussagekräftige da unhistorische und allgemeingültige Formel vom Markt. Nur ganz am Ende, im allerletzten Satz der Eckpunkte, kommt der Kapitalismus ohne ein solches Adjektiv aus: "Gemeinsam streiten wir, dass der Kapitalismus nicht das letzte Wort der Geschichte ist."

Diese Auseinanderlegung des Textes ist nicht eine semantische Spielerei, sondern soll vielmehr der Sichtbarmachung der den Eckpunkten zu Grunde liegenden Denkweise dienen. Danach ist nicht von dem Kapitalismus die Rede, der Zerstörungsprozesse hervorbringt, sondern es wird offensichtlich ein veränderter Kapitalismus dafür verantwortlich gemacht, wobei die verwendete Begrifflichkeit für diesen veränderten Kapitalismus, wie dargestellt, beliebig ist. Folgt man den Autoren der Eckpunkte, so hat sich etwas in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten zum Negativen hin verändert, was jene Zerstörungen zur Folge hatte. Nun gehe es um die Rückgängigmachung dieser negativen Veränderung. Diese gewählte Form der Beschreibung des gegenwärtigen Gesellschaftssystems eröffnet den Autoren die Möglichkeit, sich anschließend, bei den politischen Forderungen, auf die Position der Korrigierenden zurückzuziehen. Wildgewordenes, Entfesseltes, Neoliberales soll danach zurückgeschnitten werden. Das kapitalistische Gesellschaftsmodell selbst wird dabei aber nicht infrage gestellt. So heißt es denn auch: "Die Überwindung der Fehlentwicklungen und sozialen Spaltungen sehen wir in einer umfassenden Demokratisierung aller Lebensbereiche." Und am Beginn des Abschnittes III. steht der Satz: "Die neue Linke legt programmatische Grundzüge einer umfassenden gesellschaftlichen Umgestaltung vor, um die Vorherrschaft der Kapitalverwertung über Wirtschaft und Gesellschaft zu beenden und den Herausforderungen der Gegenwart mit einem alternativen Entwicklungsweg zu begegnen." Es geht demnach nicht um die Aufhebung der kapitalistischen Herrschaft, sondern den Eckpunkten heißt, die "solidarische Erneuerung und konsequent demokratische Gestaltung der Gesellschaft" möglich machen soll, schließlich werden wohl eine Bundestagsfraktion, sechs Landtagsfraktionen und eine ganze Reihe von kommunalen Mandatsträgern der Linkspartei.PDS dafür allein nicht ausreichen. "Eine andere Welt ist nötig" lautet die Überschrift des Abschnitts II. Aber wer soll die Veränderung bewirken? Im Text findet sich dazu nur eine Passage: "Wir stellen uns bewusst in die Tradition der Aufklärung und des demokratischen Sozialismus, der großen Emanzipationsbewegungen der Arbeiterinnen und Arbeiter und der Frauenbewegung, der Umwelt- und Anti-AKW-Bewegung und der Bewegungen gegen staatliche Repression und für die Durchsetzung der Grund- und Freiheitsrechte für alle. Wir knüpfen an das Engagement all jener an, die sich für die Beseitigung der Ursachen des Faschismus eingesetzt haben." Und kurz danach heißt es: "Gemeinsam wollen wir eine Partei bilden, wie es sie in Deutschland noch nicht gibt - Linke einigend, demokratisch und sozial, feministisch und antipatriarchal, offen und plural, streitbar und tolerant, antirassistisch und antifaschistisch, eine konsequente Friedenspolitik verfolgend." Die Arbeiterbewegung wird also auf eine Stufe mit den ohne Zweifel auch verdienstvollen und wichtigen Bewegungen gegen AKWs und staatliche Repression gestellt, nun ja. Ihre Gleichsetzung und Relativierung in einem bunten Bündel aller möglichen progressiven Bewegungen überrascht nun doch angesichts der Tatsache, dass die Linkspartei.PDS bekanntlich eine kommunistische Vergangenheit besitzt und sich in der WASG vor allem Gewerkschafter zusammengefunden haben. Diesem gewählten Ansatz entsprechend, kennen die Eckpunkte demnach auch keine Klassen mehr und findet nach ihnen auch kein Klassenkampf mehr statt. Wie steht es nun mit der historischen Verortung der neuen Partei? Man erfährt aus den Eckpunkten dazu nur sehr wenig. "Wir haben aus der Geschichte gelernt", heißt es dort. Und: "Respekt vor Andersdenkenden ist Voraussetzung von Befreiung. Wir lehnen jede Form von Diktatur ab und verurteilen den Stalinismus als verbrecherischen Missbrauch des Sozialismus. Freiheit und Gleichheit, Sozialismus und Demokratie, Menschenrechte und Gerechtigkeit sind für uns unteilbar." Mit diesen Worten wird noch einmal der Ausgangspunkt der PDS bei ihrem Hervortreten aus der SED um die Jahreswende 1989/90 in Erinnerung gerufen. Doch man fragt sich unwillkürlich, ob das wirklich alles ist, was im Rückblick auf 70 Jahre Sowjetunion und 40 Jahre DDR zu sagen ist. Dass da noch mehr gewesen sein muss, blitzt nur an einer Stelle kurz auf: "Als mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion das größte Gegengewicht wegfiel, konnten sich die zerstörerischen Tendenzen des ungehemmten Marktes immer mehr entfalten." Übrigens: Über Irrtümer, Fehler und Wendungen von Gewerkschaften und Sozialdemokratie in den letzten Jahrzehnten, jenen Bewegungen mithin, die denen nahe stehen bzw. standen, die als WASG den zweiten Teil der neuen Partei bilden sollen, erfährt man aus den Eckpunkten leider nichts. In diesem Zusammenhang soll hier auf einen Satz in den Eckpunkten eingegangen werden, mit dem sich die Autoren gehörig vergaloppiert haben. Im Zusammenhang mit einem kurzen Abriss zur Geschichte der sechziger und siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts heißt es u. a.: "In derselben Zeit entstanden Bewegungen für mehr Freiheit, Solidarität und Demokratie. Sie wurden von den Herrschenden bekämpft und wie im Fall des Prager Frühlings oder der chilenischen Volksfront-Regierung unter Salvador Allende sogar mit Waffengewalt niedergeschlagen." Die beiden Ereignisse - 1968 in der Tschechoslowakei und 1973 in Chile - wurden auch in den Herforder Thesen im Zusammenhang angesprochen. Dort heißt es: "Die Strategie des demokratischen Weges zum Sozialismus ist aber auch deswegen heute wesentlich genauer bestimmbar, weil eine der marxistischen Theorie verpflichtete Auseinandersetzung und Aufarbeitung sowohl der Erfahrungen der sozialistischen Länder wie auch der Ereignisse in Chile eingesetzt hat und in die Strategiediskussion einbezogen wurde. So hat die Entwicklung in den sozialistischen Ländern gezeigt, dass die jeweilige Form des Übergangs zum Sozialismus die weitere gesellschaftliche Entwicklung und die innere Struktur der Länder lange Zeit mitprägt. Gewaltsame, durch die Reaktion erzwungene Auseinandersetzungen, die Verteidigung erreichter Ziele unter Zuhilfenahme aller Mittel und Wege bergen die Gefahr der Verselbständigung in sich und können durch Subalternität verlängert werden. Die Stalin-Ära und die heute noch beträchtliche Einschränkung der politischen Demokratie in den sozialistischen Ländern lassen sich auf jene Strukturen und Prozesse zurückführen. Auf der anderen Seite haben die Ereignisse in Chile, der faschistische Putsch gegen die demokratische Regierung Allende deutlich gemacht, dass die Gefahr einer gewaltsamen Verhinderung demokratischer Veränderungen zum Sozialismus durch die herrschende, multinational agierende Ausbeuterklasse auch heute noch eine reale ist. Dies gilt vor allem dann, wenn es den herrschenden reaktionären Kreisen gelingt, Verbündete in anderen Teilen der Bevölkerung, insbesondere unter den Mittelschichten zu finden. Aus all diesen Entwicklungen, den objektiven Strukturveränderungen wie den historischen Erfahrungen haben große Teile der westeuropäischen Linken die Schlussfolgerung gezogen, dass der auf eine breite gesellschaftliche Mehrheit gestützte demokratische Weg zum Sozialismus mehr als je zuvor die zentrale politische Aufgabe einer sozialistischen Strategie ist." Ich halte diese Analyse auch heute noch für weitaus präziser und schlüssiger als jener hingeworfene Satz aus den programmatischen Eckpunkten, der mit einem undifferenzierten da rein soziologischen Begriff von "Herrschenden" operiert und zudem Anlass für das Missverständnis liefern kann, hier werde Rot mit Braun gleichgesetzt. Der Entwurf "Programmatischer Eckpunkte auf dem Weg zu einer neuen Linkspartei" spiegelt die epochalen Veränderungen wider, die sich mit und nach den Ereignissen von 1989/91 auch im theoretischen Denken der Linken in Deutschland vollzogen haben. Die Bereitschaft zur marxistischen Analyse sowie zur Formulierung grundlegender sozialistischer Alternativen ist, zumindest in den Kernbereichen der politischen Linken, offenkundig nicht mehr vorhanden. Bestimmten marxistische Ansätze und Kategorien noch in den siebziger und achtziger Jahren entscheidend das Denken der Linken, waren sie seinerzeit im akademischen Raum fest verankert , beherrschten sie die Publikationsstrategien vieler, darunter auch namhafter Verlage und reichten sogar weit in die sozialdemokratische Partei hinein, wie etwa die große Verbreitung der Herforder Thesen zeigte, so fristet dieses Denken gegenwärtig nur ein Nischendasein in akademischen Zirkeln und einflusslosen Gruppen und Parteiungen. Eine Sozialismusdiskussion aber, die das Erbe der Arbeiterbewegung anerkennt, es kritisch bewertet und es in der Perspektive der Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise weiterentwickelt, ist existenziell für die entstehende neue Linkspartei, will sie nicht ihre besondere Bestimmung verlieren und schnell zu einer gewöhnlichen Partei herabsinken, die sich auf Dauer in der Gegenwart einrichtet und sich mit einigen Korrekturen am kapitalistischen System begnügt. Dass selbst mit einer Annahme der programmatischen Eckpunkte in unveränderter Fassung noch nicht viel über den künftigen Weg der neuen Partei ausgesagt wäre, zeigt der hier noch einmal bemühte Vergleich mit dem Gothaer Programm von 1875. Während und trotz seiner Gültigkeit entwickelte sich die SPD in den Jahren danach zu einer Partei des klassenbewussten Proletariats, wohingegen das 1891 beschlossene marxistische Erfurter Programm nicht verhindern konnte, dass die Partei den Weg der Anpassung ging. Dies sollte zu denken geben. Die kritische Auseinandersetzung mit den programmatischen Aussagen der neuen deutschen Linkspartei wird dadurch aber nicht überflüssig. Fußnoten: 1 Die "Herforder Thesen zur Arbeit von Marxisten in der SPD" (veröffentlicht als spw-Sonderheft SH 2, Berlin 1980) entstanden als programmatische Selbstverständigung der im Hannoveraner Kreis zusammengeschlossenen Jungsozialisten und linken Sozialdemokraten. Sie erschienen in mehreren Auflagen und dienten über Jahre als Schulungs- und Bildungsmaterial bei den Jungsozialisten und in der SPD. 2 Ökonomisch-politischer Orientierungsrahmen für die Jahre 1975-1985, Herausgeber: Vorstand der SPD, Bonn 1975, S.85 3 Linke Sozialdemokraten und bundesrepublikanische Linke, in: spw - Sonderheft 3, Berlin 1981, S.17f. 4 Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Herausgeber: Vorstand der SPD, Bonn 1990, S. 41 5 Grundsatzprogramm a. a. O., S. 9 6 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. April 2000 7 Herforder Thesen, a. a. O., S. 9f. 8 Karl Marx und Friedrich Engels, Die Deutsche Ideologie, in MEW 3, S. 35 9 Karl Marx, Thesen über Feuerbach, in MEW 3, S. 5 10 Domenico Losurdo, Demokratische Revolution oder Restauration? Über den Zusammenbruch des "realen Sozialismus" in Osteuropa, in: Topos 3, Köln 1994, S. 91 11 Hans Heinz Holz, Thesen über die Zukunft des Marxismus S. 58, in: Zukunft des Marxismus, dialectica minora 10, Köln 1995 12 Otto Kirchheimer, Von der Weimarer Republik zum Faschismus: Die Auflösung der demokratischen Rechtsordnung, S. 36, Frankfurt/M. 1976 13 Domenico Losurdo, a. a. O., S. 70 f. 14 Vgl. Domenico Losurdo, a. a. O., S. 84 15 Gregor Gysi, Gerechtigkeit ist modern, zwölf Thesen für eine Politik des modernen Sozialismus, S. 1 16 Hans Heinz Holz, Das Kommunistische Manifest - seine historische Bedeutung, in: Kommunistisches Manifest passé?! Marxismus im 21. Jahrhundert, Köln 1999, S. 100 17 Karl Marx und Friedrich Engels, Die Deutsche Ideologie, a. a. O., S. 20 f. 18 Hans Heinz Holz, Das Kommunistische Manifest, a. a. O., S. 110 19 Vgl. Programmatische Eckpunkte auf dem Weg zu einer neuen Linkspartei in Deutschland, in: Die Linke.PDS, Pressedienst vom 20. September 2006 20 Vgl. Herforder Thesen, a. a. O., S. 31 f. um die Aufhebung einer Vorherrschaft. Die Tatsache der Herrschaft des Kapitals wird damit relativiert.

Die adjektivischen Kennzeichnungen des Kapitalismus haben nichts zu tun mit einer etwa dadurch zum Ausdruck gebrachten Definition einer bestimmten historischen Epoche des Kapitalismus, wie etwa mit der Begrifflichkeit des staatsmonopolistischen Kapitalismus geschehen. Dagegen spricht schon die Beliebigkeit der in den Eckpunkten verwandten Bezeichnungen. Auch fehlt es an jeglicher Definition des Besonderen, was den Kapitalismus heute eben "neu, modern, entfesselt, global, neoliberal" usw. und damit von anderen kapitalistischen Epochen unterscheidbar macht. Man kann nur erahnen, dass die Autoren der Eckpunkte die in der gesamten Geschichte des Kapitalismus doch nur recht kurze Phase der Entwicklung einer gewissen Sozialstaatlichkeit vor Augen hatten, die in Nordamerika und in Westeuropa in etwa vom Beginn der fünfziger bis zur Mitte bzw. zum Ende der siebziger Jahre reichte, als sie ihre Aussagen über das kapitalistische System trafen. Doch diese, für die Lohnabhängigen so günstige Nachkriegszeit, hatte bekanntlich ganz außergewöhnliche Rahmenbedingungen zur Grundlage, die heute nicht mehr gelten. Stichworte zur Beschreibung dieser Umstände sind: Die Diskreditierung des kapitalistischen Systems infolge der Niederringung der faschistischen Regime, derer es sich bediente, die Existenz eines europäischen sozialistischen Staatensystems nach 1945 und schließlich die enormen Zerstörungen im Kriege, die einen Wiederaufbauboom mit vorübergehender Vollbeschäftigung zur Folge hatte. Indem die Autoren die historische Einordnung ihres spezifischen Kapitalismusbildes vermeiden, beantworten sie nicht die Frage, ob heute - nach dem Wegfall der angesprochenen günstigen Bedingungen - die geforderte "Überwindung von Fehlentwicklungen" überhaupt noch vorstellbar ist. Es ist doch wohl so, dass wir uns inzwischen, auch in Deutschland, wieder in einer allgemeinen, sehr viel raueren Phase einer kapitalistischen bzw. imperialistischen Entwicklung befinden. Indem aber die Autoren der Eckpunkte ausschließlich die kurze Periode der Sozialstaatlichkeit zum Maßstab nehmen, kommen sie zu falschen Generalisierungen und befördern am Ende Illusionen über die Möglichkeit bloßer Korrekturen am kapitalistischen System.

Die kapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnisse als Ursachen von Ausbeutung und Entfremdung werden in den Eckpunkten verschwiegen. Die Frage des Eigentums wird in ihnen lediglich an einer Stelle angesprochen. Dort heißt es: "Vor allem die Demokratisierung der Wirtschaft verlangt eine breite Debatte darüber, wie die Verfügungsgewalt über alle Formen des Eigentums sozialen Maßstäben unterworfen werden kann." Doch liest man den direkt darauf folgenden Satz, so wird klar, was eigentlich gemeint ist: "In diesem Zusammenhang wollen wir klären, wie öffentliches Eigentum als Grundlage demokratischer Politik und Daseinsvorsorge sowohl sozial als auch effizient gestaltet und genutzt werden kann." Die Ausführung zum Eigentum steht demnach im Kontext der aktuellen Kontroverse innerhalb der Linkspartei.PDS bzw. zwischen ihr und der WASG über die von Mandatsträgern der Linkspartei.PDS verfolgten bzw. mitgetragenen Privatisierungspolitik in Ländern und Kommunen. Die Notwendigkeit der Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und ihre Überführung in Gemeineigentum als unabdingbare Voraussetzung einer jeglichen neuen Gesellschaftsordnung sind damit nicht gemeint. Hier liegen die Programmatischen Eckpunkte also näher am Godesberger als am Erfurter Programm der deutschen Sozialdemokratie. Der neoliberale Vordenker Milton Friedman hatte zu dieser, nach den Ereignissen von 1989/91 grundlegend veränderten Sichtweise, nicht ohne Genugtuung angemerkt, dass es in der Linken nur noch Anhänger der Umverteilung von Einkommen aber nicht mehr von Eigentum gebe. Das Diktum Bertolt Brechts "Reden wir über die Eigentumsverhältnisse" gilt für die Eckpunkte jedenfalls nicht.

Sehen wir uns nun die Ausführungen hinsichtlich des Subjekts an, welches, wie es den Eckpunkten heißt, die "solidarische Erneuerung und konsequent demokratische Gestaltung der Gesellschaft" möglich machen soll, schließlich werden wohl eine Bundestagsfraktion, sechs Landtagsfraktionen und eine ganze Reihe von kommunalen Mandatsträgern der Linkspartei.PDS dafür allein nicht ausreichen. "Eine andere Welt ist nötig" lautet die Überschrift des Abschnitts II. Aber wer soll die Veränderung bewirken? Im Text findet sich dazu nur eine Passage: "Wir stellen uns bewusst in die Tradition der Aufklärung und des demokratischen Sozialismus, der großen Emanzipationsbewegungen der Arbeiterinnen und Arbeiter und der Frauenbewegung, der Umwelt- und Anti-AKW-Bewegung und der Bewegungen gegen staatliche Repression und für die Durchsetzung der Grund- und Freiheitsrechte für alle. Wir knüpfen an das Engagement all jener an, die sich für die Beseitigung der Ursachen des Faschismus eingesetzt haben." Und kurz danach heißt es: "Gemeinsam wollen wir eine Partei bilden, wie es sie in Deutschland noch nicht gibt - Linke einigend, demokratisch und sozial, feministisch und antipatriarchal, offen und plural, streitbar und tolerant, antirassistisch und antifaschistisch, eine konsequente Friedenspolitik verfolgend." Die Arbeiterbewegung wird also auf eine Stufe mit den ohne Zweifel auch verdienstvollen und wichtigen Bewegungen gegen AKWs und staatliche Repression gestellt, nun ja. Ihre Gleichsetzung und Relativierung in einem bunten Bündel aller möglichen progressiven Bewegungen überrascht nun doch angesichts der Tatsache, dass die Linkspartei.PDS bekanntlich eine kommunistische Vergangenheit besitzt und sich in der WASG vor allem Gewerkschafter zusammengefunden haben. Diesem gewählten Ansatz entsprechend, kennen die Eckpunkte demnach auch keine Klassen mehr und findet nach ihnen auch kein Klassenkampf mehr statt.

Wie steht es nun mit der historischen Verortung der neuen Partei? Man erfährt aus den Eckpunkten dazu nur sehr wenig. "Wir haben aus der Geschichte gelernt", heißt es dort. Und: "Respekt vor Andersdenkenden ist Voraussetzung von Befreiung. Wir lehnen jede Form von Diktatur ab und verurteilen den Stalinismus als verbrecherischen Missbrauch des Sozialismus. Freiheit und Gleichheit, Sozialismus und Demokratie, Menschenrechte und Gerechtigkeit sind für uns unteilbar." Mit diesen Worten wird noch einmal der Ausgangspunkt der PDS bei ihrem Hervortreten aus der SED um die Jahreswende 1989/90 in Erinnerung gerufen. Doch man fragt sich unwillkürlich, ob das wirklich alles ist, was im Rückblick auf 70 Jahre Sowjetunion und 40 Jahre DDR zu sagen ist. Dass da noch mehr gewesen sein muss, blitzt nur an einer Stelle kurz auf: "Als mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion das größte Gegengewicht wegfiel, konnten sich die zerstörerischen Tendenzen des ungehemmten Marktes immer mehr entfalten." Übrigens: Über Irrtümer, Fehler und Wendungen von Gewerkschaften und Sozialdemokratie in den letzten Jahrzehnten, jenen Bewegungen mithin, die denen nahe stehen bzw. standen, die als WASG den zweiten Teil der neuen Partei bilden sollen, erfährt man aus den Eckpunkten leider nichts.

In diesem Zusammenhang soll hier auf einen Satz in den Eckpunkten eingegangen werden, mit dem sich die Autoren gehörig vergaloppiert haben. Im Zusammenhang mit einem kurzen Abriss zur Geschichte der sechziger und siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts heißt es u. a.: "In derselben Zeit entstanden Bewegungen für mehr Freiheit, Solidarität und Demokratie. Sie wurden von den Herrschenden bekämpft und wie im Fall des Prager Frühlings oder der chilenischen Volksfront-Regierung unter Salvador Allende sogar mit Waffengewalt niedergeschlagen."

Die beiden Ereignisse - 1968 in der Tschechoslowakei und 1973 in Chile - wurden auch in den Herforder Thesen im Zusammenhang angesprochen. Dort heißt es: "Die Strategie des demokratischen Weges zum Sozialismus ist aber auch deswegen heute wesentlich genauer bestimmbar, weil eine der marxistischen Theorie verpflichtete Auseinandersetzung und Aufarbeitung sowohl der Erfahrungen der sozialistischen Länder wie auch der Ereignisse in Chile eingesetzt hat und in die Strategiediskussion einbezogen wurde. So hat die Entwicklung in den sozialistischen Ländern gezeigt, dass die jeweilige Form des Übergangs zum Sozialismus die weitere gesellschaftliche Entwicklung und die innere Struktur der Länder lange Zeit mitprägt. Gewaltsame, durch die Reaktion erzwungene Auseinandersetzungen, die Verteidigung erreichter Ziele unter Zuhilfenahme aller Mittel und Wege bergen die Gefahr der Verselbständigung in sich und können durch Subalternität verlängert werden. Die Stalin-Ära und die heute noch beträchtliche Einschränkung der politischen Demokratie in den sozialistischen Ländern lassen sich auf jene Strukturen und Prozesse zurückführen. Auf der anderen Seite haben die Ereignisse in Chile, der faschistische Putsch gegen die demokratische Regierung Allende deutlich gemacht, dass die Gefahr einer gewaltsamen Verhinderung demokratischer Veränderungen zum Sozialismus durch die herrschende, multinational agierende Ausbeuterklasse auch heute noch eine reale ist. Dies gilt vor allem dann, wenn es den herrschenden reaktionären Kreisen gelingt, Verbündete in anderen Teilen der Bevölkerung, insbesondere unter den Mittelschichten zu finden. Aus all diesen Entwicklungen, den objektiven Strukturveränderungen wie den historischen Erfahrungen haben große Teile der westeuropäischen Linken die Schlussfolgerung gezogen, dass der auf eine breite gesellschaftliche Mehrheit gestützte demokratische Weg zum Sozialismus mehr als je zuvor die zentrale politische Aufgabe einer sozialistischen Strategie ist." 20

Ich halte diese Analyse auch heute noch für weitaus präziser und schlüssiger als jener hingeworfene Satz aus den programmatischen Eckpunkten, der mit einem undifferenzierten da rein soziologischen Begriff von "Herrschenden" operiert und zudem Anlass für das Missverständnis liefern kann, hier werde Rot mit Braun gleichgesetzt.

Der Entwurf "Programmatischer Eckpunkte auf dem Weg zu einer neuen Linkspartei" spiegelt die epochalen Veränderungen wider, die sich mit und nach den Ereignissen von 1989/91 auch im theoretischen Denken der Linken in Deutschland vollzogen haben. Die Bereitschaft zur marxistischen Analyse sowie zur Formulierung grundlegender sozialistischer Alternativen ist, zumindest in den Kernbereichen der politischen Linken, offenkundig nicht mehr vorhanden. Bestimmten marxistische Ansätze und Kategorien noch in den siebziger und achtziger Jahren entscheidend das Denken der Linken, waren sie seinerzeit im akademischen Raum fest verankert , beherrschten sie die Publikationsstrategien vieler, darunter auch namhafter Verlage und reichten sogar weit in die sozialdemokratische Partei hinein, wie etwa die große Verbreitung der Herforder Thesen zeigte, so fristet dieses Denken gegenwärtig nur ein Nischendasein in akademischen Zirkeln und einflusslosen Gruppen und Parteiungen.

Eine Sozialismusdiskussion aber, die das Erbe der Arbeiterbewegung anerkennt, es kritisch bewertet und es in der Perspektive der Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise weiterentwickelt, ist existenziell für die entstehende neue Linkspartei, will sie nicht ihre besondere Bestimmung verlieren und schnell zu einer gewöhnlichen Partei herabsinken, die sich auf Dauer in der Gegenwart einrichtet und sich mit einigen Korrekturen am kapitalistischen System begnügt.

Dass selbst mit einer Annahme der programmatischen Eckpunkte in unveränderter Fassung noch nicht viel über den künftigen Weg der neuen Partei ausgesagt wäre, zeigt der hier noch einmal bemühte Vergleich mit dem Gothaer Programm von 1875. Während und trotz seiner Gültigkeit entwickelte sich die SPD in den Jahren danach zu einer Partei des klassenbewussten Proletariats, wohingegen das 1891 beschlossene marxistische Erfurter Programm nicht verhindern konnte, dass die Partei den Weg der Anpassung ging. Dies sollte zu denken geben. Die kritische Auseinandersetzung mit den programmatischen Aussagen der neuen deutschen Linkspartei wird dadurch aber nicht überflüssig.

Quellenverzeichnis / Anhang:

1

Die "Herforder Thesen zur Arbeit von Marxisten in der SPD" (veröffentlicht als spw-Sonderheft SH 2, Berlin 1980) entstanden als programmatische Selbstverständigung der im Hannoveraner Kreis zusammengeschlossenen Jungsozialisten und linken Sozialdemokraten. Sie erschienen in mehreren Auflagen und dienten über Jahre als Schulungs- und Bildungsmaterial bei den Jungsozialisten und in der SPD.

2

Ökonomisch-politischer Orientierungsrahmen für die Jahre 1975-1985, Herausgeber: Vorstand der SPD, Bonn 1975, S.85

3

Linke Sozialdemokraten und bundesrepublikanische Linke, in: spw - Sonderheft 3, Berlin 1981, S.17f.

4

Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Herausgeber: Vorstand der SPD, Bonn 1990, S. 41

5

Grundsatzprogramm a. a. O., S. 9

6

Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. April 2000

7

Herforder Thesen, a. a. O., S. 9f.

8

Karl Marx und Friedrich Engels, Die Deutsche Ideologie, in MEW 3, S. 35

9

Karl Marx, Thesen über Feuerbach, in MEW 3, S. 5

10

Domenico Losurdo, Demokratische Revolution oder Restauration? Über den Zusammenbruch des "realen Sozialismus" in Osteuropa, in: Topos 3, Köln 1994, S. 91

11

Hans Heinz Holz, Thesen über die Zukunft des Marxismus S. 58, in: Zukunft des Marxismus, dialectica minora 10, Köln 1995

12

Otto Kirchheimer, Von der Weimarer Republik zum Faschismus: Die Auflösung der demokratischen Rechtsordnung, S. 36, Frankfurt/M. 1976

13

Domenico Losurdo, a. a. O., S. 70 f.

14

Vgl. Domenico Losurdo, a. a. O., S. 84

15

Gregor Gysi, Gerechtigkeit ist modern, zwölf Thesen für eine Politik des modernen Sozialismus, S. 1

16

Hans Heinz Holz, Das Kommunistische Manifest - seine historische Bedeutung, in: Kommunistisches Manifest passé?! Marxismus im 21. Jahrhundert, Köln 1999, S. 100

17

Karl Marx und Friedrich Engels, Die Deutsche Ideologie, a. a. O., S. 20 f.

18

Hans Heinz Holz, Das Kommunistische Manifest, a. a. O., S. 110

19

Vgl. Programmatische Eckpunkte auf dem Weg zu einer neuen Linkspartei in Deutschland, in: Die Linke.PDS, Pressedienst vom 20. September 2006

20

Vgl. Herforder Thesen, a. a. O., S. 31 f.

Zurück

Zurzeit sind keine Nachrichten vorhanden.

Mein Newsletter

Abonnieren Sie den Newsletter von Andreas Wehr. Der Newsletter informiert unregelmäßig (10 bis 12 mal im Jahr) über Publikationen, Meinungen und Bucherscheinungen und wird über den Newsletter-Anbieter Rapidmail versendet.