Ran mit der großen Axt

"Eine Revolution von oben", so beschrieb am 13.Oktober die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) die Ankündigung gigantischer Rettungspakte für die Finanzindustrie gleich in einer ganzen Reihe europäischer Länder. Und in der Tat, was da am Wochenanfang in Berlin, Paris, Rom, Madrid, Den Haag und Wien zur Rettung der jeweils nationalen Banken präsentiert wurde, ist nichts anderes als eine solche "Revolution von oben". Sie ist die Reaktion auf die offenbar gewordene Tatsache, dass ungehemmter Wettbewerb in einer zugespitzten Krisensituation auf geradem Weg nach unten führt. Die Staatsinterventionen sollen verhindern, dass die Banken durch ihre Weigerung, sich untereinander Kredit zu geben einander erdrosseln und dabei die gesamte Wirtschaft mit in den Abgrund reißen.

 

Der Anstoß zu diesem beispiellosen Vorgehen kam aber nicht aus Brüssel. Die Institutionen der EU spielten dabei keine Rolle. Die Rettungspläne entstanden weder an den Schreibtischen der Kommission noch des Rates und schon gar nicht im Europäischen Parlament. Als Blaupause diente vielmehr ein Plan, den der britische Premier Gordon Brown am 8. Oktober dem Unterhaus präsentierte. Das Treffen der Regierungschefs der Länder der Eurozone am letzten Sonntag in Paris diente denn auch nur noch der gemeinsamen Versicherung, es den Briten mit jeweils national angepassten Rettungsplänen gleichzutun. Nicht zufällig war diese Sonntagsrunde ein informelles Gremium außerhalb der EU-Institutionen. Die Bedeutungslosigkeit der EU beim Krisenmanagement folgt aus der Tatsache, dass sie wohl behauptet, auch eine Wirtschafts- und Währungsunion zu sein, tatsächlich aber nur über eine gemeinsame Währung verfügt. In der Finanz- und Wirtschaftspolitik hat sie so gut wie keine Kompetenzen.

Die EU hat ihre wenigen Rechte nicht genutzt, um die Kontrolle der Banken zu erhöhen. Stattdessen haben Rat und Kommission zusammen mit dem Europäischen Parlament sogar noch ihren ganz eigenen Anteil Öl ins Krisenfeuer gekippt. Der von der EU betriebene Ausbau der europäischen Finanzdienstleistungsmärkte führte zu umfassender Deregulierung, so dass die faulen Kredite nur umso leichter innerhalb Europas weitergereicht werden konnten.

 

All die schönen und ausgefeilten Theorien, die fest von einer "Abdankung des Staates" zugunsten europäischer Entscheidungsmechanismen fabulieren, haben sich gründlich blamiert und ihre Autoren gleich mit. Auch erweist sich die in manch linken Kreisen so gern ausgesprochene Warnung vor einem "Rückfall in den Nationalstaat" endgültig als lächerlich. Wenn es, wie jetzt geschehen, einmal hart auf hart kommt, zeigt sich, dass die wirkliche politische Macht zu keinem Zeitpunkt den nationalstaatlichen Raum verlassen hat. Zu beobachten ist jetzt, wie einige EU-Mitgliedstaaten die "Rettungsmaßnahmen" zur Stärkung "ihrer" Großbanken" auf Kosten anderer Länder nutzen. Dies ist das genaue Gegenteil der viel beschworenen europäischen Solidarität! Die gesellschaftliche Linke hat nun Gelegenheit, ihr Verhältnis zu EU und Staat gründlich zu überdenken. Da trifft es sich gut, dass Wahlen zum Europäischen Parlament anstehen und hierfür Programme geschrieben werden müssen.

Die deutsche Bundesregierung war in den letzten Wochen nicht Treiberin sondern Getriebene. Den Takt gaben Großbritannien und Frankreich vor. Noch auf dem Treffen der vier großen EU-Staaten am 4. Oktober in Paris hatte sich Merkel standhaft geweigert mitzuziehen. Demonstrativ ließ sie den französischen Präsidenten Sarkozy auflaufen. Sein Plan, ein europäisches Rettungspaket in Höhe von 300 Millionen Euro aufzulegen, wurde vor allem von deutscher Seite ohne Präsentation einer Alternative brüsk abgelehnt. In der EU kämpfte fortan jeder gegen jeden. Die irische Regierung begann das verhängnisvolle Spiel "Beggar your neighbor", indem sie die Geldeinlagen in unbegrenzter Höhe garantierte, allerdings nur solche bei irischen Banken. Die deutsche Bundesregierung zog zum großen Ärger der übrigen EU-Staaten mit einer ähnlichen Garantieerklärung nach. Es folgten Österreich, Dänemark, Schweden und Griechenland.

 

Was sich jetzt vor unseren Augen vollzieht, kann theoretisch nur mit den Instrumenten der Marxschen Theorie erfasst werden. Zugänge bieten Analysen des gegenwärtigen staatsmonopolistischen Kapitalismus. Denn was sind diese Rettungspakete anderes als gigantische Stützungen einer kapitalistischen Unordnung, die sich aus den von ihr selbst produzierten Widersprüchen allein nicht mehr befreien kann? Und ist es nicht so, dass jetzt der gesamte Staat mit seinen Ressourcen zur Rettung der Interessen der Bankenbourgeoisie herangezogen wird? Abermals werden es vor allem die Lohnabhängigen sein, die mit ihren Steuern am Ende die Zeche anderer zu begleichen haben.

Zugleich wird mit den Staatshilfen der Wettkampf zwischen den Banken um Zugewinne auf internationalen Märkten weiter angeheizt. Schließlich sollen die jeweiligen Hilfen ja den eigenen, nationalen Bankensektor wieder fitt und wettbewerbsfähig machen. So diente die Verstaatlichung des niederländischen Teils des zerlegten belgisch-holländischen Bankenkonzerns Fortis ganz den eigenen Interessen Den Haags. Es ging um die damit möglich gewordene Wiederausgliederung der ein Jahr zuvor von Fortis übernommenen niederländischen Bank ABN Amro. Und die französische Finanzministerin Christine Lagarde geht fest davon aus, dass die Banken dort auf das Staatsangebot zurückgreifen, um mit dieser Hilfe "auf gleiche Augenhöhe mit den Briten zu kommen" (FAZ vom 15.10.08). Schon kündigen Deutsche Bank, BNP Paribas und die Bank Santander weitere Übernahmen von Teilen zuvor zerlegter Banken an. Der mörderische Wettbewerb untereinander geht also weiter, und dank der Staatshilfen wird er sogar noch schärfer. Nur durch eine Übernahme des gesamten Bankensektors auf einen Schlag in öffentliche Hand kann diese am Ende für alle tödliche Konkurrenz beendet werden.

 

Doch die Vereinnahmung der Politik bringt auch Elemente der Unsicherheit für das Kapital mit sich, reden doch die Betroffenen mittels Wahlen und Parteien, wenn auch nur schwach, mit. So können auch andere Positionen zumindest potentiell zur Geltung kommen. Auch dies kann man in diesen Tagen studieren. Man sehe sich die in Großbritannien genannten Bedingungen für die verordnete Kapitalaufstockung der Banken einmal genau an. Verlangt wird neben der Aussetzung der Dividendenzahlung die Kürzung der Managergehälter und eine veränderte Kreditpolitik, die die Interessen des Mittelstands berücksichtigt. Den Aktionären der betroffenen Banken vergeht ob dieser unattraktiven Aussichten gegenwärtig die Lust an weiterer Teilhabe. Sie geben die Aktien in Massen zurück und senken damit die Einstiegskosten des Staates. Vergleichbare Forderungen an die Banken werden in Paris und selbst in Berlin erhoben.

 

Für die Gewerkschaften und die politische Linke kommt es jetzt darauf an, diese Ansätze aufzugreifen und zu radikalisieren. Die von ihnen stattdessen erhobenen Forderungen nach einem Konjunkturprogramm, weiteren Leitzinssenkungen oder nach einer Millionärssteuer sind sicher richtig aber unzureichend. Man darf nicht hinter den Positionen des Bundesverbandes der mittelständischen Wirtschaft zurückzubleiben. Dessen Präsident, Mario Ohoven erklärte, dass "die Eingriffsrechte, die sich der Staat im Gegenzug für das Milliarden-Rettungspaket gesichert hat, völlig unzureichend" sind.

 

Heute geht es um die Formulierung einer gänzlich anderen Bankenpolitik, die soziale und ökologische Gesichtspunkte in den Mittelpunkt stellt. Und es darf natürlich keine Rückgabe der staatlichen Anteile nach getaner Aufräumarbeit in die Hände jener geben, die die Krise verursacht haben. Es gilt vielmehr, mit Hilfe der Staatsbeteiligungen eine Investitionslenkung in Gang zu setzen, wie sie in der Sozialdemokratie bereits in den siebziger Jahre diskutiert wurde und wie sie Eingang in den Orientierungsrahmen '85 der SPD fand.

 

Die Forderung nach der Verstaatlichung des Bankensektors liegt angesichts des Desasters auf der Hand und wird in der Öffentlichkeit verstanden. Der hessische Landesverband der Partei Die Linke ist mit dieser Forderung bereits vorangegangen. Die gesamte Partei sollte ihm folgen. Und warum sollten dafür nicht auch Unterschriften gesammelt werden? Schließlich hilft "jetzt nur noch die ganz große Axt", wie es der Präsident des Bundesverbandes der mittelständischen Wirtschaft so treffend formulierte.

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