Partei der Seiltanzkunst
»Anders als es die Bundesregierung darstellt, ist nicht in erster Linie Russland für die Zuspitzung der Situation in der Ukraine verantwortlich«, so lautet die entscheidende Formulierung im Beschluss des Bundesparteitages der Linkspartei zur Situation in der Ukraine. Der noch im Entwurf enthaltene Satz »Die NATO und die EU haben einen erheblichen Anteil daran« wurde gestrichen. Damit ist klar, wie die die Linkspartei den Konflikt bewertet: Zwar tragen beide Seiten Verantwortung für die gegenwärtige Zuspitzung: Russland, wenn auch »nicht in erster Linie«, sowie NATO und EU. Aber letztere sollen nicht einmal »einen erheblichen Anteil« daran haben.
Ein weiteres Detail enthüllt die eigentliche Intention des Beschlusses. Hieß es im Ursprungstext noch: »Die Linke erklärt ihre ausdrückliche Solidarität mit den Opfern des Terrors«, so lautet es jetzt: »Die Linke erklärt ihre ausdrückliche Solidarität mit den Opfern.« Die Benennung des Terrors ließ man weg.
Kompromiss beschworen
Alle Welt vertritt gegenwärtig im Konflikt um die Ukraine einen Standpunkt, nicht aber die Linkspartei. Sie bezieht eine Position der Äquidistanz, spielt das »Weltenkind in der Mitte«. Geht es nach dem bisherigen stellvertretenden Vorsitzenden Jan van Aken, so ist eine solche Stellungnahme auch gar nicht nötig, stehe man schließlich doch »auf der Seite der Menschen«. Und der außenpolitische Sprecher der Fraktion, Stefan Liebich, ergänzt: »Wir müssen uns nicht entscheiden zwischen der EU und Putin«. Dementsprechend fordert die Linkspartei »alle Konfliktparteien – d.h. auch die NATO, die Bundesregierung, die EU, die US-Administration und die russische Regierung – auf, auf eine weitere Eskalation zu verzichten.« Das wird bestimmt Eindruck machen in Washington, Brüssel oder Berlin! Und bei so viel ausgeglichen verteilter Schelte in alle Himmelsrichtungen verwundert es nicht, dass man in dem Beschluss nicht einmal den Ansatz einer geopolitischen Einschätzung des Konflikts findet. Und natürlich wird über Imperialismus nicht gesprochen.
Vertreter des linken Flügels, wie Ellen Brombacher, Wolfgang Gehrcke oder Sevim Dagdelen, kritisierten zwar mit scharfen Worten NATO, EU und Bundesregierung, warben aber zugleich für den Text als Kompromiss zwischen den Flügeln. Die so oft beschworene Geschlossenheit der Partei war wieder einmal wichtiger.
Entmachtung gescheitert
Viel Zeit nahm sich der Parteitag für die Debatte über Satzungsfragen. Vom rechten Forum demokratischer Sozialismus (FdS) sowie vom Landesverband Sachsen eingebrachte Anträge hatten das Ziel, die Rechte der bundesweiten Zusammenschlüsse einzuschränken. Die Partei leistet sich eine Vielzahl davon. Sie verfügen jeweils über eigene Gremien und Parteitagsdelegierte. Dem rechten Parteiflügel sind diese Gruppierungen schon lange ein Ärgernis, stimmen doch deren Delegierte meist mit dem linken Flügel. Die versuchte Entmachtung scheiterte jedoch, denn die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit blieb unerreichbar. Vergeblich blieb auch der Versuch, die Kompetenzen des Bundesausschusses zu beschneiden.
Bei den Wahlen zum Parteivorstand wurden – wenig überraschend – sowohl Katja Kipping als auch Bernd Riexinger als Vorsitzende bestätigt. Aber anders noch als bei seiner Kampfkandidatur gegen Dietmar Bartsch in Göttingen vor zwei Jahren ist Riexinger heute nicht mehr umstritten. Mit 89,6 Prozent erhielt er ein sehr gutes Ergebnis. Weniger erfolgreich war Katja Kipping. Obwohl sogar die Sozialistische Linke vom linken Flügel zu ihrer Wahl aufrief, stimmten nur 77,25 Prozent für sie.
Weniger reibungslos ging es bei der Wahl der stellvertretenden Vorsitzenden zu. Sahra Wagenknecht und Jan von Aken hatten auf eine erneute Kandidatur verzichtet. An Stelle Wagenknechts wurde mit 83,05 Prozent die hessische Fraktionsvorsitzende Janine Wissler gewählt. Bei der Besetzung des frei gewordenen Platzes von Jan van Aken hoffte der rechte Flügel mit Dominic Heilig einen Geländegewinn zu erzielen. Gewählt wurde aber statt seiner Tobias Pflüger, der noch vor wenigen Monaten in Hamburg nicht für das Europaparlament aufgestellt worden war. Nach dieser Niederlage verlangte der rechte Parteiflügel eine Auszeit, um über sein weiteres Vorgehen zu beraten. Erst danach wurde Matthias Höhn als Geschäftsführer bestätigt. Als Bundesschatzmeister konnte sich Thomas Nord gegen Raju Sharma durchsetzen.
Einen spektakulären Beschluss fasste der Parteitag fast nebenbei: Mit Mehrheit forderte er die Bundestagsfraktion auf, sich »bis Ende des Jahres eine quotierte Doppelspitze« zu geben. Gregor Gysi, der 2013 für zwei Jahre gewählte Fraktionsvorsitzende, soll darüber nicht amused sein. Nach seiner Parteitagsrede am Sonntag flog er zu Gesprächen über die Ukraine-Krise nach Moskau.
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