Nein zur Deutsch-EU

Europa hat gewählt« – doch was ist das Ergebnis? Gibt es einen Trend? Auf den ersten Blick nicht. In Deutschland sind die Sozialdemokraten die Gewinner, doch in fast allen anderen Ländern verlieren sie, teilweise sogar dramatisch. Rechtsradikale und rechtspopulistische Parteien erleben in Frankreich, Großbritannien, Dänemark, Österreich und anderswo einen Aufstieg, und in Italien ist es die politisch unbestimmt ausgerichtete 5-Sterne-Bewegung, die das Protestpotential an sich bindet. In Griechenland profitiert hingegen die linkssozialistische Syriza vom Protest gegen die unhaltbare soziale Situation des Landes. Nicht anders ist das Bild bei Konservativen, Liberalen und Grünen: Sie gewinnen mal hier und verlieren mal dort. Ähnlich sieht es auch bei den Linken aus. Stimmt also die bei Interpretationen der Wahlen zum Europäischen Parlament so oft bemühte Formel wieder einmal, dass die Wählerinnen und Wähler ihre Entscheidungen letztlich unter nationalen Gesichtspunkten treffen? Die Antwort darauf lautet: ja und nein.

Zunächst zum Nein: Ungeachtet gravierender politischer Unterschiede gibt es bei fast allen Siegern dieser Wahl eine Gemeinsamkeit: Es ist das Nein zu einer EU, die von Deutschland geführt wird. Darin spiegelt sich die Tatsache, dass Berlin der große Gewinner der bisher tiefsten Krise in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg und die europäische Peripherie zugleich der Verlierer ist, wobei diese bereits jenseits des Rheins und direkt hinter den Alpen beginnt. Das Nein dieser Peripherie artikulierte sich auf unterschiedlichste Weise: »Wir werden die Euro-Zone verlassen«, hieß es bei Marine Le Pen vom Front National in Frankreich. Beppo Grillo von der 5-Sterne-Bewegung Italiens versprach: »Über den Fiskalpakt diskutieren wir nicht, wir zerfetzen ihn vor Merkel.« Und die Wahlkampfparole der griechischen Syriza lautete »Merkel oder Griechenland«. In Großbritannien setzte die UK Independance Party auf den traditionellen Isolationismus der Insel und gewann mit der Parole »Alleine sind wir besser«. Mit diesem gemeinsamen »Nein« waren die Wahlen 2014 wahrscheinlich die europäischsten überhaupt in der Geschichte des Parlaments, hatten sie doch damit ein verbindendes Thema.

Nun zum Ja: Diese gemeinsame europäische Absage an Brüssel und Berlin ist ganz und gar nicht das, was die Europabefürworter im Sinn haben, sprechen sie von der Herausbildung einer europäischen Identität. Das Nein entfernt in der Tat die Staaten voneinander. Das kann in einer Krise nicht anders sein, denn in solchen Phasen verschärfen sich die Gegensätze unter den Ländern, jedes Land kämpft für sich. Und für seinen jeweiligen Platz in der internationalen und europäischen Hierarchie ist eine andere Grundlage als seine allgemeinwirtschaftliche, finanzielle, militärische und sonstige Stärke eben nicht denkbar. Das ist das Gesetz des Kapitalismus und Imperialismus. Je nach Stärke der Klassen innerhalb der Länder werden diese Kämpfe von ganz unterschiedlichen Lagern angeführt. Geben in Frankreich, Großbritannien, Dänemark und Österreich rechte chauvinistische bzw. rassistische Kräfte nur vor, die entschiedensten Vertreter nationaler Interessen zu sein, so verteidigen in Griechenland, Portugal, Spanien und Irland die Linken tatsächlich die Souveränitätsrechte ihrer Länder. In Skandinavien versuchten beide Lager, mit ihrem Versprechen zu punkten, den national begründeten Sozialstaat dort zu verteidigen. In Italien ist noch nicht entschieden, wie sich die 5-Sterne-Bewegung am Ende positioniert.

Die Gewinne der unterschiedlichen, ja gegensätzlichen europakritischen Strömungen von rechts wie von links stören natürlich die europäischen Integrationisten. Und so hieß es schon vor den Wahlen, dass angesichts der zu erwartenden »Stärkung der Ränder«, das proeuropäische Lager künftig noch enger zusammenrücken müsse. Und so war die diesjährige Wahl auch wieder eine ganz typisch europäische. Es waren nämlich Wahlen, bei denen der Gewinner bereits vorher feststand. Es ging allein darum, wer in der ewigen großen Koalition von Konservativen und Sozialdemokraten in Brüssel bzw. Straßburg diesmal die Nase vorn hat. Seit 1979 geht das so, als das Parlament erstmals direkt gewählt wurde. Doch diesmal wollte man diesem bloßen Platzkampf, dem tatsächlich gar keine alternativen Konzepte zugrunde liegen, den Anschein eines echten Wahlkampfes wirklicher Spitzenkandidaten geben. Dem Sieger des Duells zwischen dem Konservativen Jean-Claude Juncker und dem Sozialdemokraten Martin Schulz war dafür das Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission in Aussicht gestellt worden. Das Ganze war von den Öffentlichkeitsarbeitern in Brüssel ausgedacht worden, um den Wähler Glauben zu machen, diesmal ginge es wirklich um etwas. »Du hast die Wahl!«, hieß es denn auch auf Zehntausenden Plakaten in Deutschland.

Dass das Lager der Konservativen auch diesmal vorne liegt, kam nicht überraschend. Es bedeutet aber noch lange nicht, dass Juncker auch Kommissionspräsident wird, denn das Vorschlagsrecht dafür liegt beim Europäischen Rat, der Versammlung der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer. Doch wer auch immer vorgeschlagen wird, das Europäische Parlament wird jeden Vorschlag abnicken. Es ist eben ein Scheinparlament. Anschließend wird man dort zur üblichen Tagesordnung übergehen. Und die besteht darin, die ewige große Koalition auch in den nächsten fünf Jahren am Laufen zu halten. Doch ihre Mehrheit ist mit den Wahlen am 25. Mai deutlich kleiner geworden, so dass es für die europäischen Integrationisten im Parlament, also für Konservative, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne, ab jetzt deutlich mühsamer und damit auch ungemütlicher in Brüssel und Straßburg werden wird.

 

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