National neoliberal

Analyse. Mehr Binnenmarkt, weniger Bürokratie. Mehr Deregulierung, weniger Einwanderung. Das Europawahlprogramm der »Alternative für Deutschland« weist Widersprüche auf

Von der Partei Alternative für Deutschland (AfD) heißt es, sie sei »europafeindlich«. Sie wolle den Euro abschaffen und an seiner Stelle die D-Mark wieder einführen. Tatsächlich fuhr ihr Vorsitzender Bernd Lucke im Bundestagswahlkampf mit einem Feuerwehrauto herum, auf dem groß »Eurowehr« geschrieben stand.

Doch was ist die Position der AfD zur einheitlichen Währung genau, und welche Haltung nimmt sie gegenüber der Europäischen Union insgesamt ein? Auf ihrem Parteitag am 22./23. März 2014 in Erfurt hat sie ihr Programm für die Wahl zum Europäischen Parlament verabschiedet, das Auskunft darüber gibt. Zuvor existierte nur ein wenige Seiten umfassendes Programm zu den Bundestagswahlen. Dieses Papier war, was den Euro betrifft, eindeutig: »Wir fordern eine geordnete Auflösung des Euro-Währungsgebietes. Deutschland braucht den Euro nicht. Anderen Ländern schadet der Euro. (…) Die Wiedereinführung der DM darf kein Tabu sein.«

In ihrem Europawahlprogramm aber spricht die AfD nicht mehr vom Euro an sich, sondern nur noch vom »Einheits-Euro«. Das scheint nur eine andere, zu vernachlässigende Wortwahl zu sein, doch es steckt mehr dahinter. Sehen wir uns die Aussagen zum »Einheits-Euro« also genau an, schließlich ist die Kritik der AfD an der gemeinsamen Währung ihr Markenzeichen. Unter der Überschrift »Für eine flexiblere Währungsordnung« heißt es: »Die AfD fordert eine Auflösung, zumindest aber eine vollständige währungspolitische Neuordnung des Euro-Währungsgebietes. Als erster Schritt muß dazu jedem Land das Recht eingeräumt werden, die Eurozone zu verlassen, ohne aus der EU auszuscheiden. Davon sollten die Länder Gebrauch machen, die die Bedingungen der Währungsunion nicht erfüllen können oder wollen. Andernfalls sollten die stabilitätsorientierten Euro-Länder unter sich ein kleineres, am Maastricht-Vertrag angelehntes Währungssystem bilden. (…) Wenn keine dieser beiden Lösungen erreicht werden kann, muß Deutschland den Austritt aus der Euro-Währungsunion anstreben.«

Anders als vielfach angenommen wird, fordert die AfD also keineswegs die Abschaffung der gemeinsamen Währung und die Wiedereinführung der DM. Das alte Zahlungsmittel wird im gesamten Programm nicht einmal erwähnt. Gefordert wird auch nicht mehr, wie noch im Bundestagswahlprogramm, »die Wiedereinführung nationaler Währungen«, sondern vielmehr die »vollständige währungspolitische Neuordnung des Euro-Währungsgebietes«. Wie diese »Neuordnung« auszusehen hat, wird unzweideutig klargestellt: Es sollen die Euro-Länder gehen, »die die Bedingungen der Währungsunion nicht erfüllen können oder wollen«. Die anderen, die »stabilitätsorientierten« sollen anschließend »unter sich ein kleineres, am Maastricht-Vertrag angelehntes Währungssystem bilden«. Erst wenn das alles nicht möglich ist, »muß Deutschland den Austritt aus der Euro-Währungsunion anstreben«. Wohlgemerkt: Nur anstreben, er wird nicht verlangt. Im Bundestagswahlprogramm hieß es hingegen noch vollmundig: »Deutschland braucht den Euro nicht«. Die AfD ist also gar nicht mehr grundsätzlich gegen den Euro. Und hinsichtlich der Zukunft der Euro-Zone hält sich die Partei alle Türen offen. Nun versteht man auch, warum die Partei neuerdings nicht mehr vom Euro, sondern nur noch vom »Einheitseuro« spricht. Gegen den Euro an sich hat man nichts, vorausgesetzt ihn besitzen nur die richtigen, die »stabilitätsorientierten« Länder.

Starbattys Stabiltätskultur

Auskunft darüber, wie in der AfD gedacht wird, gibt das Buch »Tatort Euro« von Joachim Starbatty. Der Autor ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre und laut Klappentext des Buches ein »leidenschaftlicher Europäer«. Auf jeden Fall ist er aber ein echter Neoliberaler, ist er doch Vorsitzender der »Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft«. Starbatty kandidiert für die AfD auf Platz fünf ihrer Liste zu den Wahlen für das Europäische Parlament und hat daher gute Chancen, im Mai gewählt zu werden. Auch ihm geht es nicht um eine Abschaffung des Euro oder gar um den Kampf gegen die EU, sondern allein um die Effektivierung des Systems. Das entsprechende Kapitel seines Buches hat denn auch die Überschrift »Wege zur Rettung des Euro und Europas«. Dort kann man lesen: »Das Beste, was der Welt, Europa und der Euro-Zone passieren könnte, wäre eine Konsolidierung der Länder in der Euro-Zone, die aus eigenem Interesse ihre Finanzen in Ordnung halten und an einem stabilen Euro interessiert sind.«

Ein »stabiler Euro« ist dabei nur die übliche Umschreibung für eine »Stabilitätskultur«, deren Beschwörung regelmäßig dazu dient, Druck auf Löhne und Sozialleistungen auszuüben. Der Export dieser »Stabilitätskultur« ist traditionell das Anliegen Deutschlands. Auch im Europawahlprogramm der Alternative für Deutschland wird verlangt: »Die AfD fordert die Rückkehr zu einer Stabilitätsunion, in der jedes Land für seine Finanzpolitik selbst verantwortlich ist.« Und – so kann hinzugefügt werden – sollte dies nicht möglich sein, so muß die Euro-Zone eben verkleinert bzw. umgebaut werden.

Damit das Ganze aber nicht zu selbstsüchtig, zu deutsch klingt, vergießt man ein paar Krokodilstränen über die Not der Länder im Süden sowie Frankreichs: »Der Euro läßt nur eine einheitliche Geldpolitik für alle Mitgliedsländer zu. Weder die Zinsen noch der Wechselkurs können den Bedürfnissen der einzelnen Volkswirtschaften angepaßt werden. Die Einheitswährung hat dazu geführt, daß der Euro für den Süden Europas sowie für Frankreich überbewertet ist. Der Euro fördert die Importe in diese Länder und behindert deren Exporte. Die Folge sind krisenhafte Leistungsbilanzdefizite, Wachstumseinbrüche und dramatische Zuwächse der Arbeitslosenzahlen, insbesondere bei den Jugendlichen.« Linke und alternative Wirtschaftswissenschaftler würden das nicht anders formulieren. Doch von seiten der AfD ist diese Kritik wohlfeil, beklagt sie sich doch nur wenige Zeilen später über die Reformunwilligkeit dieser Länder, die dazu führt, Deutschland die Schuld für die Misere zu geben: »Da die Reformen im Süden der Eurozone und in Frankreich bisher ungenügende Resultate erzielt haben, wird zunehmender Druck auf Deutschland ausgeübt, seine Wettbewerbsvorteile abzubauen.« Was ist also schuld an der Misere? Die für alle Mitgliedsländer einheitliche und starre Euro-Geldpolitik oder die »Reformunwilligkeit« der Länder des Südens? Geht es nach der AfD, so darf man sich die passende Erklärung selbst aussuchen, sie jedenfalls bietet beide an.

Grundsätzliche Übereinstimmung

In dem Ziel der »Rettung des Euro« durch die »Rückkehr zu einer europäischen Stabilitätskultur« und zur »Haushaltsdisziplin« sind sich Starbatty und mit ihm die AfD ganz und gar einig mit Merkel, Schäuble, Gabriel und Steinmeier. Unterschiedliche Ansichten gibt es zwischen den etablierten Parteien und der AfD lediglich über den Weg dorthin, denn anders als CDU/CSU und SPD glauben Lucke, Starbatty und die anderen nicht daran, daß die Euro-Zone in ihrer jetzigen Zusammensetzung Bestand haben wird. Starbatty legt zumindest Griechenland den Austritt aus dem Währungsverbund nahe. Bei der Beantwortung der Frage, warum es dazu noch nicht gekommen ist, vermutet er bei den verantwortlichen Politikern unedle Motive: »Griechenland (solle) in der Euro-Zone gehalten werden (…), damit der deutsche Export nicht abstürzt«.

Die Forderung von Starbatty und der AfD nach einer »flexibleren Währungsordnung« ist nicht neu. Dies war bis 2012 auch das Ziel der Schwarz-Gelben Regierungskoalition und damit verbunden der Ausschluß Griechenlands aus der Euro-Zone als eine mögliche Option. So hatte im März 2010 Bundeskanzlerin Merkel im Bundestag die Revision der europäischen Verträge verlangt, um es möglich zu machen, »ein Land aus dem Euro-Raum auszuschließen, wenn es die Bedingungen langfristig immer wieder nicht erfüllt«. Noch deutlicher war seinerzeit FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler geworden. Unterstützt von Bild forderte er offen den Rauswurf Griechenlands, wenn das Land die von Brüssel verlangte Kürzungspolitik nicht befolge. Heute heißt es bei der AfD: Vom Recht des Ausscheidens aus der Euro-Zone »sollten die Länder Gebrauch machen, die die Bedingungen der Währungsunion nicht erfüllen können oder wollen«.

Doch die Bundesregierung korrigierte im Oktober 2012 ihren Kurs. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble erklärte in Singapur: »I think, there will no, it will not happen, that there will be a Staatsbankrott in Greece.« Die Finanzmärkte hatten ihm zuvor auf einer Tagung des Internationalen Währungsfonds in Tokio zu verstehen gegeben, daß, sollte auch nur ein Land fallengelassen werden, die gesamte Euro-Zone von ihnen als hinfällig angesehen wird. Griechenland mußte daher in ihr bleiben und wird mit weiteren Hilfspaketen ausgehalten.

Doch bei dieser Korrektur des Kurses der alten Bundesregierung blieb es nicht: Gegen den Widerstand des Präsidenten der Bundesbank Jens Weidmann und des deutschen Mitglieds im Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) Jürgen Stark nahm die Bundesregierung den Beschluß der Bank zum unbeschränkten Ankauf von Staatsanleihen gefährdeter Euro-Länder hin. Stark trat daraufhin zurück. Keinen Widerstand leistete die Bundesregierung auch bei der schrittweisen Absenkung des EZB-Leitzinses auf nahe Null, wodurch sich Staaten wie Spanien und Italien günstiger an den Finanzmärkten finanzieren konnten. Dabei wird zugleich einkalkuliert, daß die Zeche der Krise nicht die Banken, sondern am Ende die Bürger mit der Entwertung ihrer Sparguthaben und Lebensversicherungen zahlen werden.

Alles andere als europafeindlich

Entstehung und Aufstieg der »Alternative für Deutschland« wären ohne diese jähen Wendungen in der Politik von CDU/CSU und FDP nicht möglich gewesen. Ihre Forderungen von heute sind die Parolen dieser Parteien von gestern. So verlangt die AfD jetzt »die Rückkehr zur Unabhängigkeit der EZB« und fordert: »Die Geldpolitik muß wieder allein der Preisstabilität dienen und darf nicht länger zur Staatsfinanzierung mißbraucht werden.« Ihr zufolge darf es auch »keine Sozialisierung der Bankschulden« geben. Der Erfolg der neuen Partei speist sich also aus den Enttäuschungen über die Politik der etablierten Parteien, die all diese Positionen aufgegeben haben. Noch kann nicht gesagt werden, ob dies nur Nostalgie ist, oder ob es der neuen Partei mit Blick auf die millionenfache Enteignung kleiner Sparer tatsächlich gelingen kann, diese neue Unzufriedenheit breiter bürgerlicher Kreise für sich zu nutzen.

Die AfD ist alles andere als eine »europafeindliche« Partei. Das Europawahlprogramm ist hier eindeutig: »Die Alternative für Deutschland (AfD) bekennt sich uneingeschränkt zu einer Europäischen Union, die der Aufklärung sowie dem Streben der Völker nach Menschenrechten und Demokratie gerecht wird und die die Wertegrundlagen des christlich-abendländischen Kulturkreises dauerhaft erhält.« Sie »bejaht und verteidigt den Binnenmarkt als die größte Errungenschaft der Europäischen Union. Sie befürwortet die vier Grundfreiheiten der EU: freier Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital«. Es ist ein Ja zu jenem Binnenmarkt, der es vor allem deutschen Monopolkonzernen ermöglicht, schwächere Unternehmen in der europäischen Peripherie niederzukonkurrieren.

Geht es nach der AfD, so soll dieser mörderische Konkurrenzkampf sogar noch schärfer werden. Bereits im Bundestagswahlprogramm war zu lesen: »Wir unterstützen nachdrücklich die Positionen David Camerons (britischer Premierminister, A.W.), die EU durch mehr Wettbewerb und Eigenverantwortung zu verschlanken.« Jetzt tritt die AfD in ihrem Europawahlprogramm dafür ein, »auch bisher geschützte Wirtschaftsbereiche dem Wettbewerb zu öffnen. In monopolistischen Sektoren (z.B. in infrastrukturbasierten Branchen wie der Kommunikation, der Versorgung oder des Verkehrs) sollte das Monopol auf den unverzichtbaren Dienstleistungskern reduziert werden, während wettbewerbsgeeignete Bereiche liberalisiert werden sollen (...). Ungerechtfertigte Wettbewerbseinschränkungen auf dem Europäischen Binnenmarkt müssen durch die europäische Wettbewerbsaufsicht aufgehoben werden.« Für den Bahnverkehr wird verlangt: »Die nationalen Eisenbahnnetze in Europa sind vollständig für Anbieter von Schienenpersonen- und Schienengüterverkehr aus allen Mitgliedsländern zu öffnen. Der diskriminierungsfreie Marktzugang muß sichergestellt werden.« Das ist neoliberale Deregulierung pur. Und es ist die Welt des in Erfurt zum Vizesprecher der Partei gewählten Hans-Olaf Henkel, des ehemaligen Chefs des Bundesverbandes der Deutschen Industrie.

Ganz unter dem Aspekt der wirtschaftlichen Verwertung steht auch die geforderte Zuwanderungs- und Asylpolitik. Anders als man es vermuten könnte, verlangt die Partei nicht die Einschränkung dieser Rechte: »Die AfD tritt für ein offenes und ausländerfreundliches Deutschland ein und bejaht sowohl die Niederlassungsfreiheit als auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit.« Dies fordert sie aber nicht etwa aufgrund humanitärer Erwägungen, sondern nur sofern es dem Wirtschaftsstandort Deutschland nutzt: »Unsere demographische Entwicklung erfordert eine qualifizierte Zuwanderung, durch welche die Versorgung einer alternden Bevölkerung ebenso sichergestellt werden kann wie der Bedarf der Wirtschaft an hochqualifizierten Arbeitskräften.« Die AfD setzt sich deshalb »für ein Einwanderungsrecht mit ›Punktesystem‹ nach kanadischem Vorbild ein, das die Interessen Deutschlands und die Chancen der Zuwanderer auf erfolgreiche Integration in unsere Gesellschaft gleichermaßen berücksichtigt«. Asylbewerbern will sie sogar »das Recht auf Arbeit« gewähren, da dies u.a. »Kosten vermeidet«. Strikt lehnt sie hingegen »eine Einwanderung in deutsche Sozialsysteme« ab. Aber da steht ihr auch die CSU nicht nach. Die verlangt: »Wer betrügt, fliegt.«

Die »Alternative für Deutschland« setzt sich »für mehr Demokratie und gegen EU-Zentralismus« ein. Angeprangert wird der »Drang der EU nach Harmonisierung, Reglementierung und Zentralisierung«. Unter der Überschrift »Rückkehr zur Subsidiarität« wird »eine Abkehr von dieser Politik des Zentralismus hin zu einer Aufgabenerledigung möglichst nah am Bürger« gefordert. Die AfD wendet sich daher gegen den »Bau einer Europäischen Wirtschaftsregierung zur Errichtung eines zentralistischen, bürokratischen und technokratischen europäischen Überstaats, der bürgerfern und undemokratisch ist«. Statt dessen will man »den nationalen Parlamenten ein Vetorecht gegen Entwürfe von Gesetzgebungsakten der EU-Organe« einräumen. Mehr noch: In Anlehnung an die »Europäische Bürgerinitiative« setzt sich die AfD für ein »Bürger-Veto« ein: »Mit dem Bürger-Veto soll – ähnlich wie in der Schweiz – innerhalb einer bestimmten Frist (z.B. sechs Monate) mit einem definierten Quorum eine EU-Gesetzgebung in dem jeweiligen Mitgliedsstaat blockiert werden können.« Zugleich soll der europäische Zentralismus geschwächt werden. Dem dient »die massive Reduzierung der Aufgaben und Ausgaben der EU«. Man versteigt sich sogar zu der Forderung nach »Halbierung der Anzahl der EU-Beamten von derzeit 50000 innerhalb von sieben Jahren«.

Programmatische Paradoxien

Die Partei fordert demnach einen stärkeren Binnenmarkt mit mehr Wettbewerb, etwa im europäischen Bahnverkehr, zugleich aber wendet sie sich gegen einen Ausbau der EU-Bürokratie und kritisiert die mit ihr einhergehende Entdemokratisierung. Damit aber widerspricht sie sich selbst, denn der so gescholtene europäische Zentralismus ist Voraussetzung dafür, daß der Binnenmarkt überhaupt funktionieren kann. Der EU wurden nämlich genau deshalb so weitreichende Kompetenzen übertragen, damit sie die Mechanismen eines gemeinsamen Marktes beständig komplettieren und auf immer weitere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ausdehnen kann. Längst finden Binnenmarktregelungen Anwendung auf früher vor dem Markt geschützte Bereiche wie Infrastruktur, kommunale Dienstleistungen jeder Art, Kultur, Bildung, Sport, Gesundheit, Sozialpolitik, Verbraucherschutz und Forschung. Alles soll kapitalistischen Prinzipien untergeordnet werden, alles soll zur Ware werden. Diese Unterwerfung unter die Bedingungen des Marktes schließt aber zugleich ein, daß nationalstaatliche oder kommunale Kompetenzen beständig auf die europäische Ebene übertragen werden müssen. Zentralisierung der Macht zugunsten der EU und Einschränkung der Demokratie zuungunsten der Nationalstaaten bedingen sich dabei gegenseitig.

Allein der zu dieser Expansion des Binnenmarkts notwendige Ausbau der Brüsseler Bürokratie und der ständige Kampf gegen immer neue nichttarifäre Handelshemmnisse, etwa Importquoten oder freiwillige Exportbeschränkungen, die seine Funktionsweise einschränken, erfordern nicht weniger, sondern sogar mehr Mittel und Personal für die europäischen Institutionen. Schon heute ist ein erheblicher Anteil jener EU-Beamten, deren Zahl die AfD mal so eben halbieren will, tagtäglich mit der Bewältigung dieser Aufgaben beschäftigt. Ganz und gar unvereinbar mit dem von der AfD geforderten Ausbau des Binnenmarktes ist das von ihr im gleichen Atemzug verlangte »Vetorecht« der »nationalen Parlamente gegen Entwürfe von Gesetzgebungsakten der EU-Organe« oder gar ein »Bürger-Veto«, denn dies muß dazu führen, daß je nach Entscheidung in diesem oder jenem Mitgliedsland die Binnenmarktregelungen gelten oder nicht gelten. Das wäre aber das Ende des für alle 28 EU-Länder einheitlichen Binnenmarktes.

Dieser zentrale Widerspruch im Programm der AfD zwischen der Forderung nach Entbürokratisierung, Dezentralisierung und Stärkung demokratischer Teilhaberechte einerseits und dem Eintreten für mehr Wettbewerb und Binnenmarktfreiheiten andererseits ist typisch für nahezu alle rechtspopulistischen Parteien in der EU. Die jeweils an ihrer Spitze stehenden neoliberalen Eliten versuchen, beim Kampf um politischen Einfluß und nicht zuletzt auch um staatlich gewährte Pfründe, d.h. um gutdotierte Mandate, Wahlkampfkostenerstattungen und Ministerposten, die etablierten Parteien regelmäßig dadurch auszustechen, daß sie populistisch an Kritiker der Aushöhlung der Demokratie appellieren und sich zu Verteidigern der Demokratie aufschwingen.

Antikapitalistische Kräfte, die gegen die Europäische Union kämpfen, wissen aber, daß die von der EU ausgehende Gefahr für die Demokratie von dem Druck des monopolisierten Kapitals herrührt, das die Errichtung eines unbeschränkten Binnenmarktes und eine militärisch gesicherte Weltmachtrolle der EU auf Biegen und Brechen durchsetzen will. Wer diese Kräfte nicht als die eigentlichen Gegner ins Visier nimmt, führt Wähler, die Bürokratisierung, Zentralisierung und Demokratieabbau durch die Europäische Union ablehnen, hinters Licht. Genau das aber versucht die »Alternative für Deutschland«.

 

 

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