Leben wir noch in der Allgemeinen Krise des Kapitalismus?

Eine Tagung im Marx-Engels-Zentrum Berlin (MEZ) in Kooperation mit der Marx-Engels-Stiftung am 30. April 2016

Im Oktober vergangenen Jahres fand im MEZ das Seminar „Geht dem Kapitalismus die wertbildende Arbeit aus?“ statt. In der Diskussion wurde vorgeschlagen, sich auch einmal ausführlich mit der Theorie der „Allgemeinen Krise des Kapitalismus“ zu befassen.

Im Hintergrund des Interesses standen dabei verschiedene neuere Erklärungsversuche der Krise 2008/2009, die alle in ihr einen historischen Einschnitt sehen, der weit über den im Kapitalismus üblichen zyklischen Auf und Ab hinausgeht. Die Krise sei daher Ausdruck eines sich bereits heute vor unseren Augen vollziehenden allgemeinen Niedergangs des Kapitalismus als System. Als Bespiele für diese Interpretationen seien hier nur einige gegenwärtige linke Theoretiker genannt: So sieht etwa Elmar Altvater den Kapitalismus endgültig an seine ökologischen Grenzen angelangt. Winfried Wolf spricht von „Sieben Krisen - ein Crash“. Und für Manfred Sohn befinden wir uns eh längst in der Todeskrise des Systems.

In der marxistischen Theorie war die Vorstellung, dass neben den sich zyklisch wiederholenden Krisen auch eine allgemeine Krise des Kapitalismus existiert, bis 1989 präsent. Verwiesen sei hier etwa auf die umfangreiche Ausarbeitung des Instituts für Internationale Politik und Wirtschaft (IPW) von 1976 unter dem Titel „Allgemeine Krise des Kapitalismus – Triebkräfte und Erscheinungsformen in der Gegenwart“. In dem Buch „Staatsmonopolistischer Kapitalismus“, das in der Reihe Basiswissen im Jahr 2014 im PapyRossa-Verlag erschienen ist, hat Gretchen Binus – eine frühere Mitarbeiterin des IPW und Mitautorin des Buches von 1976 - die Grundzüge dieser Theorie noch einmal nachgezeichnet.

Dass die Theorie der „Allgemeinen Krise des Kapitalismus“ heute fast gänzlich vergessen, ja sogar diskreditiert ist, liegt vor allem darin begründet, dass sie auch starke Elemente einer Siegeseuphorie des Sozialismus enthielt, die uns heute fremd und wirklichkeitsfern erscheinen müssen. Um das Gemeinte zu illustrieren seit hier aus der Einleitung des Buches „Allgemeinen Krise des Kapitalismus– Triebkräfte und Erscheinungsformen in der Gegenwart“ von 1976 zitiert:

„Die tiefgreifenden Konflikte, die den Kapitalismus gegenwärtig kennzeichnen, verdeutlichen aufs Neue die historische Überlebtheit, den Niedergang der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Innerhalb kurzer Frist hat sich die Einschätzung der Internationalen Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien in Moskau vom Jahre 1969 bestätigt: ῾Der Imperialismus ist außerstande, seine verlorene historische Initiative wiederzuerlangen, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Die Hauptrichtung der Entwicklung der Menschheit wird vom sozialistischen Weltsystem, von der internationalen Arbeiterklasse, von den revolutionären Kräften bestimmt.῾ Immer deutlicher tritt zutage, wie der Hauptwiderspruch unserer Epoche – der Widerspruch zwischen den beiden Gesellschaftssystemen Sozialismus und Kapitalismus – den Verlauf der allgemeinen Krise des Kapitalismus prägt.“       

Diese Einschätzung war man Sicherheit voreilig, um es milde auszudrücken. Heute wissen wir es natürlich besser. Wir wissen, dass mit dieser viel zu optimistischen Einschätzung des historischen Verlaufs die eigenen Fähigkeiten überschätzt und zugleich die des weltweiten Imperialismus unterschätzt wurden.

Man sollte sich dennoch heute wieder mit der Theorie der Allgemeinen Krise des Kapitalismus beschäftigen, da sie nicht auf die zitierte überkommene Sichtweise reduziert werden kann. Es geht vielmehr darum, sich der in dieser Theorie vorhandenen gültigen Erklärungsmuster zu erinnern und sie für die theoretische Arbeit fruchtbar zu machen.

Um diese Aufgabe angehen zu können, fand am 30. April 2016 unter der Überschrift „Leben wir noch in der Allgemeinen Krise des Kapitalismus?“ eine Tagung im Marx-Engels-Zentrum Berlin in Kooperation mit der Marx-Engels-Stiftung statt. Eingeladen waren folgende Referenten:

Der Philosoph Wolf-Dieter Gudopp-von Behm; er beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit der griechischen Philosophie, etwa mit Solon und Anaximander. Auf der Tagung behandelte er Fragen des dialektischen Kerns der Theorie der Allgemeinen Krise, des Epochenbegriffs und der Bedeutung von Gesetzlichkeit.

Der Ökonom Thomas Kuczynski sprach über den „realhistorischen Kontext des Begriffs Allgemeine Krise des Kapitalismus am Beispiel Eugen Vargas“. Über den ungarisch-sowjetischen Ökonomen hat Kuczynski bereits mehrfach publiziert, etwa in der Zeitschrift „Lunapark 21“.

Der Wirtschaftswissenschaftler Stephan Müller aus München; er beschäftigt sich seit längerem mit Fragen der Politischen Ökonomie.

Alle drei Referate finden sich auf der Website des MEZ unter:
http://www.mez-berlin.de/referenten-referate.html

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