Klassenindifferenter Populismus?

Zu dem Artikel „Linker Populismus statt Klassenpolitik“ von Phillip Becher, in: Marxistische Blätter 6_2016

Das von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) am 2. Oktober 2016 veröffentlichte Streitgespräch zwischen Sahra Wagenknecht und der AfD-Frontfrau Frauke Petry hat hohe Wellen geschlagen. Von einigen Medien, aber auch von innerparteilichen Gegnern wurde Wagenknecht allein schon die Tatsache zum Vorwurf gemacht, dass sie sich überhaupt darauf eingelassen hatte. Die Rede war sogar von einer sich anbahnenden Querfront von Links und Rechts oder – wie es die taz formulierte - von einem „rechten Konsensgespräch“. Wer das Streitgespräch aber auch nur flüchtig gelesen hatte, konnte sich über all das nur wundern. Tatsächlich wies Wagenknecht nicht nur alle heuchlerischen Umarmungsversuche von Petry entschieden zurück, sie entlarvte vielmehr immer wieder die sozialdemagogische Argumentation der AfD.

Es ist daher zu begrüßen, wenn Phillip Becher in seinem Artikel zu Beginn schreibt: „Vorweg sei gesagt, dass das Gespräch - anders als hämische Beobachter konstruieren – keinen Beleg darstellt für eine sich anbahnende Querfront zwischen Rechtspopulismus und Sozialdemokratie.“ Doch zugleich stutzt man bei diesem Satz: Wieso „Sozialdemokratie“? Einen Vertreter dieser Partei hatte die FAS doch gar nicht zum Gespräch geladen. Die Erklärung liefert Becher sogleich im folgenden Satz: „Denn für diese Strömung der Arbeiterbewegung beziehungsweise für das, was aus dieser Strömung wurde, steht die ehemalige Frontfrau der ostdeutschen Kommunisten heute.“ Wie bitte? Sahra Wagenknecht als Repräsentantin der heutigen Sozialdemokratie? Auf eine Stufe gestellt mit Sigmar Gabriel, Martin Schulz oder Frank-Walter Steinmeier, mit jenen also, die keine Gelegenheit auslassen, immer wieder zu betonen, dass es genau die Positionen dieser Sahra Wagenknecht sind, die jeder Annäherung von SPD und Linkspartei im Wege stehen? Philipp Becher muss sich den Vorwurf gefallen lassen, mit seiner Zuordnung der linken Politikerin zu den Sozialdemokraten den Boden einer ernsthaften Argumentation verlassen zu haben.

Enttäuschend auch sein übriger Text. Von den Argumenten Wagenknechts erfährt man darin nichts, viel hingegen darüber, was Becher alles im Streitgespräch vermisst hat. Etwa „ein selbstkritisches Wort zur realen Unterstützung ihrer Partei beispielsweise für Herrn Wowereits und Herrn Sarrazins rigorose Spar- und Privatisierungspolitik.“ Solch kritische Worte hat es von ihr aber sehr wohl und nicht nur einmal gegeben. Allerdings an anderer Stelle, denn in diesem FAS-Streitgespräch ging es gar nicht um die Rot-Grüne Regierungspraxis. Sein Vorwurf geht daher ins Leere.

Becher vermisst „die Formulierung eigenständiger kämpferischer Alternativen“ der Linkspartei, etwa in Mecklenburg-Vorpommern. Er sollte zur Kenntnis nehmen, dass der Landesvorsitzende der Linken in Mecklenburg-Vorpommern, Peter Ritter, Sahra Wagenknecht ausdrücklich vom Landtagswahlkampf im Sommer 2016 ausgeschlossen hatte. Ihn und nicht Wagenknecht sollte Becher daher kritisieren. Im weiteren Verlauf lässt der Autor den eigentlichen Gegenstand seines Artikels – das FAS-Streitgespräch - immer mehr hinter sich und widmet sich der Aufgabe, einmal all das aufzulisten wovon er meint, dass man es der Politikerin der Linken vorwerfen müsste. Etwa den Streit, „wer nun wirklich das Erbe Ludwig Erhards für sich beanspruchen kann.“ Einen solchen Streit hat es aber im Gespräch gar nicht gegeben. Becher kritisiert auch Wagenknechts „Festhalten an der Chimäre der Sozialen Marktwirtschaft“. Auch das gab es nicht. Verteidigt hat sie hingegen den Sozialstaat. Das Ganze gipfelt schließlich im Vorwurf Bechers eines „klassenindifferenten Populismus“. „Populismus“, das ist es, was ihr auch die Parteirechten und die Medien vorwerfen.

Wozu das Ganze? Man wird den Verdacht nicht los, dass einige, die meinen besonders weit links zu stehen, der Ansicht sind, sie müssten besonders scharf die Spitzenkandidatin der Linkspartei bei den Bundestagswahlen 2017 kritisieren, um so die Kandidatur einer weiteren, kleineren linken Partei zu diesen Wahlen rechtfertigen zu können. Nur so lässt sich auch das wütende Wagenknecht-Bashing von Klaus Wagener in seiner Rezension ihres Buches „Reichtum ohne Gier“ (siehe Marxistische Blätter 3_2016)

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