Hatz auf Tsipras

Bei dem griechischen Referendum am Sonntag gehe es um den Verbleib des Landes in der Eurozone. Das behauptet EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und mit ihm viele in Brüssel und Berlin. Doch diese Frage steht gar nicht auf dem Stimmzettel. Tatsächlich geht es um ein neues, von Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) vorgelegtes Kürzungspaket. Was ein Nein dazu bedeutet, ist ungewiss. Es kann der erste Schritt Griechenlands heraus aus der Eurozone sein, muss es aber nicht, denn vorstellbar ist auch, dass die Gläubiger, angesichts der Ungewissheit über die Folgen eines Austritts, ihr Angebot nachbessern. Fest steht hingegen, was nach einer Zustimmung passiert: Ministerpräsident Alexis Tsipras wird seinen Rücktritt erklären, die Syriza-Regierung wäre gescheitert, Neuwahlen wahrscheinlich.

Mit der Stilisierung des Referendums zu einem Votum über einen Verbleib Griechenlands in der Eurozone bzw. in der EU wird die Regierung Tsipras an ihrer verwundbarsten Stelle angegriffen, denn Syriza wurde Ende Januar 2015 von knapp 37 Prozent der Griechen gewählt, um der leidenden Bevölkerung  die Kürzungspolitik mitsamt der Troika vom Hals zu schaffen, nicht aber um das Land aus der Eurozone zu führen. Nur so lässt sich erklären, dass die Popularität der Regierung in den letzten Monaten stieg, während zugleich weiterhin mehr als 60 Prozent der Bevölkerung für einen Verbleib in der Eurozone eintreten. Genau hier setzen nun Berlin und Brüssel sowie die Opposition in Athen den Hebel an. Indem sie unannehmbare Forderungen stellten, haben die Gläubiger  die Syriza-Regierung vor die Wahl gestellt, entweder sich selbst aufzugeben oder aber ihren Kurs vom Volk bestätigen zu lassen. Bei seiner Zustimmung zum neuen Kürzungspaket wäre Tsipras am Ende. Sein für diesen Fall angekündigter Rücktritt bestätigt, was immer vermutet wurde: Die Athener Regierung verfügt über keinen Plan B für eine Perspektive des Landes jenseits des Euros. Die Mehrheit von Syriza hat nichts unternommen, um einen Prozess der Bewusstseinsbildung in Gang zu setzen, der den Widerspruch „Kürzungspolitik Nein- Euro Ja“, eine Haltung  des „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“, hätte auflösen können.        

Die  Elogen der Syriza-Politiker auf Europa sind echt, ihr Glaube an ein soziales und demokratisches Europas nicht vorgetäuscht. Dem entsprechend haben sie linkssozialdemokratische Vorschläge zur Reform der Eurozone unterbreitet. In seinem Buch „Bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise“ geht es dem griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis ausdrücklich um die Rettung des Euros, da sein Scheitern „verheerend für ganz Europa wäre“ (vgl. die Rezension in der jungen Welt vom 29.06.2015). Weitblickende  Sozialdemokraten wie Gesine Schwan registrierten das genau und luden ihn zum Vortrag nach Berlin ein. Doch das von Syriza gesuchte Bündnis mit der europäischen Sozialdemokratie ist nicht zustande gekommen. Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Martin Schulz beteiligen sich vielmehr, gemeinsam mit Angela Merkel und Wolfgang Schäuble, jetzt an der Hatz auf Tsipras.   

Womöglich hat man es in Athen nicht für möglich gehalten, dass die deutsche Bundesregierung als die entscheidende Kraft auf Seiten der Gläubiger an einem Kompromiss gar nicht mehr interessiert ist. Tatsächlich hat vor allem Berlin dafür gesorgt, dass immer neue Forderungen gestellt wurden, bis der griechischen Regierung gar nichts anderes übrig blieb als den Verhandlungstisch zu verlassen.

Diese unnachgiebige Haltung entsprang aber nicht einer plötzlichen Eingebung Angela Merkels bzw. Sigmar Gabriels. So funktioniert Politik im staatsmonopolistischen Kapitalismus nicht. Dem politischen Richtungswechsel ging vielmehr ein wirtschaftspolitischer voraus. Am 13. Juni 2015 hatte sich mit Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI), in einem Gastkommentar  in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung  (FAZ) das deutsche Monopolkapital zu Wort gemeldet. Gezeigt wurde zunächst, wie man dort über demokratische Wahlen bzw. die Souveränität eines Eurolandes denkt: „Wer aus demokratischer Legitimierung heraus einen nationalen Weg beschreiten möchte, der kann nicht Mitglied einer Wirtschafts- und Währungsunion sein.“ Anschließend wurde der Daumen über Griechenland gesenkt: „Daher kann es kein Halten eines Mitglieds um jeden Preis geben. Denn dadurch entsteht eine gefährliche Aufweichung  der geltenden Regeln des Gemeinschaftsrechts.“ Der Präsident des Verbandes der deutschen Automobilindustrie, Matthias Wissmann, ergänzte: „Der Austritt könnte sogar zur Stabilisierung der Eurozone beitragen. Entscheidend sei, dass die Regeln des Euros eingehalten werden.“ Und der Generalsekretär Wirtschaftsrat der CDU, Wolfgang Steiger, kritisierte „eine wiederholte Beugung der Rechtsgrundlagen der Europäischen Union wie der Europäischen Währungsunion“, die nur „im Chaos enden kann“. (FAZ vom 30.06.15) Solche Töne hatte man bislang nur vom Verband der Familienunternehmer, vom Präsidenten des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn oder aus der AfD vernommen.  

Der deutsche Imperialismus nutzt die Krise um Griechenland, um nicht alleine dieses Land sondern zugleich alle anderen Euroländer zu disziplinieren, indem er sie in das Prokrustesbett der von Berlin diktierten Austeritätspolitik zwängen will. Dazu sollen ihre Souveränitätsrechte weiter beschnitten werden und Brüssel neue Kompetenzen zur Wirtschaftslenkung erhalten. Es geht daher längst nicht mehr nur um Griechenland. Ins Visier genommen werden auch Spanien, Italien und Frankreich. In Paris hat man die Botschaft verstanden. Es war daher nicht überraschend, dass man sich dort nachgiebiger als in Berlin gegenüber Athen zeigte. Die griechische Krise kann daher leicht zu einem Grundsatzstreit zwischen Deutschland und Frankreich über die Zukunft der Eurozone und damit der EU führen.   

 

 

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