Gott strafe Russland

Während des ersten Weltkriegs lautete eine weit verbreitete Parole im Deutschen Reich und in Österreich-Ungarn "Gott strafe England". Man tat alles, um die Sprachen der Feinde, zu denen neben dem Englischen, auch das Französische, das Russische sowie das Italienische zählte, aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Karl Kraus hat in seinem Werk "Die letzten Tage der Menschheit" diese Umtriebe in Wien beschrieben. Heute steht erneut alles Russische unter Verdacht. Es ist daher Zeit, sich dieser dunklen Tage zu erinnern.

Karl Kraus: Die letzten Tage der Menschheit – 8. Szene

Eine Straße in der Vorstadt. Man sieht den Laden einer Modistin, eine Pathéphonfirma, das Café Westminster und eine Filiale der Putzerei Söldner & Chini. Es treten auf vier junge Burschen, deren einer eine Leiter, Papierstreifen und Klebestoff trägt.

ERSTER: Hammr schon wieder einen erwischt! Was steht da? Salon Stern, Modes et Robes. Das überklebn mr als a ganzer!

ZWEITER: No aber der Name könnt doch bleiben und daß mr weiß, was es für ein Geschäft is. Gib her, das mach mr a so (er klebt und liest vor) Salo Stern Mode. So ghört sichs. Das is deutsch. Gehmr weiter.

ERSTER: Patephon, da schauts her, was is denn dös? Ist dös franzesisch?

ZWEITER: Nein, das is lateinisch, das darf bleiben, aber da – da les ich: „Musikstücke deutsch, französisch, englisch, italienisch, russisch und hebräisch“.

DRITTER: Wos tan mr do?

ERSTER: Das muß weg als a ganzer!

ZWEITER: Das mach mr a so (er klebt und liest vor) „Musikstücke deutsch - hebräisch“. So ghört sichs.

DRITTER: Ja, aber was is denn dös? Ah, da schaurija! Da steht ja Café Westminster, mir scheint das is gar eine englische Bezeichnung!

ERSTER: Du, das laßt sich aber nur im Einverständis machen, das is ein Kaffeehaus, der Kaffeesieder könnt eine Persönlichkeit sein, wir hätten am End Unannehmlichkeiten. Rufmrn außa, warts. (Er geht hinein und kehrt augenblicklich mit dem Cafetier zurück, der sichtlich sehr bestürzt ist.) Sie werden das gewiß einsehn – es ist ein padriotisches Opfer –

DER CAFETIER: Das is fatal, aber wenn die Herrn von der freiwilligen Kommission sind –

VIERTER: Ja schaun S‘, warum haben Sie ihr Lokal überhaupt so tituliert, das war unvorsichtig von Ihnen.

DER CAFETIER: Aber meine Herrn, wer hat denn das ahnen können, jetzt is mirs selber peinlich. Wissen S‘ ich hab das Lokal so tituliert, weil wir doch hier gleich bei der Westbahn sind, wo die englischen Lords in der Saison anzukommen pflegen, also damit sie sich gleich wie zuhaus fühln –

ERSTER: Ja hörn S‘, war denn schon einmal ein englischer Lord in ihrem Lokal?

DER CAFETIER: Und ob! Das warn Zeiten! Jessas!

ERSTER: Da gratulier ich. Aber schaun S‘ jetztn kann eh kaner kummen!

DER CAFETIER: Gottseidank – Gott strafe England – aber schaun S‘, der Name hat sich bereits so eingebürgert, und nach dem Krieg, wenn so Gott will wieder die englische Kundschaft kommt – schaun S‘, da sollten S‘ halt doch ein Einsehn haben.

ERSTER: Auf so etwas kann die Volkesstimme nicht Rücksicht nehmen, lieber Herr, und Volkesstimme, das wird Ihnen doch bekannt sein –

DER CAFETIER: Ja natürlich, wo wird denn unsereins das nicht wissen, wir sind doch mehr oder weniger ein Volkscafé – aber – ja wie soll ich denn nacher das Lokal heißen?

ZWEITER: Aber machen S‘ Ihna keine Sorgen, wir tun Ihnen net weh – das wer‘ mer gleich haben – und zwar schmerzlos. (Er kratzt das i weg.)

DER CAFETIER: Ja – was – war denn – nacher das?

ZWEITER: So! Und jetzt lassn S‘ vom Maler ein ü hinein-mal’n –

DER CAFETIER: Ein ü? Café Westmünster -?

ZWEITER: Ein ü! das is ganz dasselbe und is deutsch. Taar-loos! Kein Mensch merkt den Unterschied und ein jeden muß doch auffallen, daß das ganz was anderes is, na was sagen S‘?

DER CAFETIER: Ah, großartig! ah, großartig! Sofort laß i’n Maler kommen. Ich danke Ihnen meine Herrn für die Nachsicht. Das bleibt so, solang der Krieg dauert. Für’n Krieg tuts es ja. Hernach möcht ich freilich doch – denn was hernach die Lords sagn möchten, wann s‘ wiederkommen, die möchten schaun!

(Zwei Gäste verlassen soeben das Lokal und verabschieben sich voneinander, der eine sagt: Adieu! Der andere: Adio!)

ERSTER: Was hab i g’hört? Franzosen und Italiener verkehren bei Ihnen? Der eine sagt Adieu und der andere sagt gar Adio? Sie scheinen überhaupt eine internationale Kundschaft zu haben, da is manches verdächtig –

DER CAFETIER: No hörn S’, jetzt wann einer Adieu sagt –

ZWEITER: Aber haben S‘ denn net gehört, wie der erste Adio gesagt hat? Das ist die Sprache des Erbfeinds!

DRITTER: Des heimtürkischen Verräters!

VIERTER: Des Treubrüchigen am Po!

ERSTER: Jawohl, der Verräter war unser Erbfeind!

ZWEITER: Unser Erbfeind, der was uns die Treue gebrochen hat!

DRITTER: Am Po!

VIERTER: Am Po! Mirken S‘ Ihna das?

(Der Cafetier ist schrittweise in das Lokal zurückgewichen.)

ERSTER (ihm nachrufend): Sie englischer Katzelmacher am Po!

ZWEITER: Da hätt mr einmal ein Exempel schtatuiert mit die Fremdwörter! Ghmr weiter.

DRITTER: Da schauts her, heut hammr Glück: Söldner & Chini! Das is schon wieder dieselbe Melange wie bei dem Kaffeesieder. Söldner, also das is doch bekanntlich ein Engländer – und Chini, das is ein Italiener!

ERSTER: Gott strafe England und vernichte Italien – das überklebn’n mr als a ganzer! Chemische Putzerei? Putz’n weg! Ich hab einen Viechszurn in mir – morgen muß der Bezirk von alle Fremdwörter gereinigt sein, wo ich noch eins drwisch, dem reiß ich ‘s Beuschl heraus! (Der zweite überklebt die Tafel.)

DRITTER: Es is am besten, wir separiern uns jetzt, ihr zwei bleibts auf dem Trottoir, wir gehen fisafis.

ERSTER: Das is fatal, aber ich kann heut nicht mitgehn, ich bin sehr pressiert, ich hab nämlich ein Rendezvous –

ZWEITER: Das is ein Malheur. Ohne dich riskiern wir am End einen Konflikt. Mich geniert das zwar nicht, aber die Leut wern impatinent und –

VIERTER: Mich tuschiert so was auch nicht weiter – aber wir könnten halt doch in eine Soß hineinkommen. Mir is zwar bisher nichts passiert –

ZWEITER: Ich versteh, das is odios, und ich bin immer sehr dischkret darin, daß ich mit die Leut harmonisch auseinanderkomm! Aber ihr dürfts euch eben nicht imponieren lassen. Jetzt heißt’s resolut sein und die patriotische Aktion, die wir einmal entriert haben, atupri konsequent durchführn.

DRITTER: Ja natürlich, wenn einer aber, wie die Leut schon sind, mit dem Argument daherkommt, daß man ihm seine Existenz ruiniert – er fangt zu lamentieren an oder wird gar rabiat, dann –

ERSTER: Aber ich bitt dich – gar net ignorieren! Oder stantape replizieren: Jetzt sind höhere Interessen! Da wird er schon eine Raison annehmen. Die Leut sind ja intelligent. Man dischkuriert net lang – wo kommt man denn hin, wenn man sich mit jedem erst auf Purlees einlassen wollt –

ZWEITER: Wenn er sich aber zu echauffieren anfangt – die Leut wern gleich ordinär

ERSTER: Da heißt’s ihr ihn ein subversives Element, basta! Also - Kurasch! Morgen referierts mir, da assistier ich euch wieder – Herrgott dreiviertel auf fünf is, jetzt muß ich momentan ein Tempo annehmen – sonst komm ich akkurat zu spät – also amüsierts euch gut – Kompliment – Adieu -!

DRITTER: Serwas!

VIERTER: Servitore!

ZWEITER: Orewar!

ERSTER (zurückkehrend): Apropos, im Fall einer protestiert, legitimierts euch einfach als interimistische Volontäre der provisorischen Zentralkommission de Exekutivkomitees der Liga zum Generalboykott für Fremdwörter. Adio!

 

Quelle: Karl Kraus, Die letzten Tage der Menschheit, Tragödie in fünf Akten mit Vorspiel und Epilog, Frankfurt am Main 1986, S. 97 ff.

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