Der Kampf der österreichischen Kommunisten um die Nation

Erschienen in der Zeitschrift Theorie und Praxis,  Ausgabe 40, November 2015

Die Kommunisten hätten die österreichische Nation „erfunden“, so heißt es immer wieder einmal. Das mag übertrieben sein, doch richtig daran ist, dass die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) in einer entscheidenden Phase des Landes, im Kampf gegen den „Anschluss“ an Nazi-Deutschland 1938, eine hervorragende Rolle spielte. Dass sie dazu in der Lage war, verdankt sie ihrem klaren und konsequenten Ja zur österreichischen Nation. Dieses Bekenntnis war seinerzeit keineswegs selbstverständlich, denn im Unterschied dazu trat die österreichische Sozialdemokratie stets für den Zusammenschluss mit Deutschland ein. Otto Bauer, der wichtigste Theoretiker des Austromarxismus, hielt selbst nach dem „Anschluss“ daran fest. Erst nach 1945 bekannte sich auch die SPÖ unzweideutig zu ihrem Land.

Theoretiker der österreichischen Nation

Dem „Ja“ der KPÖ lag eine ausgearbeitete theoretische Position zugrunde. Es lohnt, sie zu studieren, ist sie doch ein gutes Beispiel dafür, wie die „nationale Frage“ von links her aufgegriffen und politisch besetzt werden kann. Für die heutige deutsche Linke ist das von großer Bedeutung, wird ihr Handeln doch nur zu oft von Unverständnis, wenn nicht gar von einem nihilistischen Herangehen an die Nation bestimmt. Ausgearbeitet wurde die „Theorie der österreichischen Nation“ von Alfred Klahr. Er war von 1935 bis 1937 Leiter der österreichischen Abteilung der Lenin-Schule in Moskau. Nach dem „Anschluss“ 1938 flüchtete er über Prag nach Belgien und schließlich in die Schweiz. Von dort wurde er an das französische Vichy-Regierung  ausgeliefert, die ihn an die Gestapo weiterreichte. Als Kommunist und Jude durchlitt Klahr das von den Nazis für seinesgleichen bestimmte Martyrium im KZ Auschwitz. Von dort gelang ihm 1944 unter abenteuerlichen Umständen die Flucht, doch die deutschen Häscher ergriffen ihn in Warschau erneut und ermordeten ihn. Dass die KPÖ nach 1945 ihr Bildungswerk nach ihm benannte, zeigt die ihm entgegengebrachte große Achtung.   

Eine Sammlung der wichtigsten Artikel von Klahr wurde 1994 unter dem Titel „Zur österreichischen Nation“ von der KPÖ herausgegeben.[i] Enthalten sind darin nicht nur Texte von ihm, sondern auch Artikel seiner sozialdemokratischen Gegner, die er kritisierte und die ihn kritisierten. Der Leser hat so die Möglichkeit, die Debatte zu studieren.

Nationale Frage als Klassenfrage

Klahr gab der Nation keine ahistorische Bedeutung, ganz im Gegenteil: Ihm ging es um eine konkrete Analyse der konkreten geschichtlichen Situation, und danach hatte der Sieg des Faschismus in Deutschland „den Prozess der Entwicklung der österreichischen Nation beschleunigt, wie es in der Entwicklung vieler Nationen beim Kampf um die Unabhängigkeit ihres Landes geschah.“ (29) Der Erhalt Österreichs wurde zu einer Klassenfrage: „Diese Linie in der nationalen Frage schärft unsere ideologische Waffe gegen den Hitlerfaschismus, den Hauptfeind des internationalen und österreichischen Proletariats. Sie ist ein Schlag gegen die These des Nationalsozialismus, die österreichische Frage sei eine innere Angelegenheit der deutschen Nation, Hitler habe nationale Ansprüche auf Österreich. Nein, die Ansprüche Hitlers sind annexionistische Ansprüche, d. h. sie sind keine Geltendmachung, sondern eine imperialistische Verletzung des Selbstbestimmungsrechts des österreichischen Volkes, seines Rechtes auf politische und nationale Unabhängigkeit.“ (38 f.)[ii] 

In der Stunde der größten Bedrängnis, am Vorabend des „Anschlusses“, richtete die bereits illegale KPÖ einen Appell zur Zusammenarbeit gegen die äußere Bedrohung an ihren innenpolitischen Todfeind, den seit 1934 an der Macht befindlichen Austrofaschismus. Das Angebot wurde brüsk zurückgewiesen. Nicht wenige der Austrofaschisten wurden anschließend von den Nazis verfolgt und getötet. Dieses Angebot der KPÖ würde heute als Querfrontpolitik denunziert werden, es entsprach aber der damaligen Not der Stunde.     

Bei ihrem Beharren auf der Eigenständigkeit ihres Landes konnte die KPÖ auf die geschichtliche Tatsache verweisen, dass Österreich bereits seit Ende des Dreißigjährigen Kriegs einen eigenen Weg ging. Nach dem Scheitern der bürgerlichen Revolution 1848, in der es auch um die Herstellung der deutschen Einheit ging, vertiefte der Krieg zwischen Österreich und Preußen 1866 erneut den Gegensatz. Nach der Schaffung des Deutschen Reiches unter Führung Berlins war endgültig klar, dass die beiden Länder unterschiedliche Wege gehen.

Sozialdemokratische Illusion

Aus heutiger Sicht aufschlussreich ist, dass die sozialdemokratischen Gegner des kommunistischen Kampfes für die österreichische Nation schon damals auf die Illusion eines sozialistischen vereinten Europas setzten. So erklärte der unter dem Namen Fritz Valentin schreibende Sozialdemokrat Karl Czernetz nach dem „Anschluss“: „ Wir revolutionäre Sozialisten haben jetzt gegen die rückschrittliche Parole der Wiederherstellung der österreichischen Unabhängigkeit nicht mehr bloß mit der Losung der gesamtdeutschen Revolution aufzutreten, sondern als Verfechter der europäischen Revolution, die für die Schaffung der Vereinigten Staaten sozialistischen Staaten Europas kämpfen.“ (183) 

Was die Illusion über ein vereintes Europa angeht, so dürfte die heutige KPÖ – als Mitglied der Europäischen Linkspartei - es ähnlich wie damals Fritz Valentin sehen. Von den Positionen Alfred Klahrs hingegen, „ihres wohl bedeutendsten theoretischen Kopfes“ (10), wie ihn die KPÖ noch 1994 bezeichnete, ist in der Partei nicht mehr viel übrig geblieben.     

[i] Alfred Klahr, Zur österreichischen Nation, Globus Verlag Wien, 1994. Zitate daraus finden sich im Text in Klammern.     

[ii] Vgl. dazu auch Tibor Zenker, Österreich 1938, Hintergründe, Vorgeschichte und Folgen des „Anschlusses“, Der Drehbuchverlag Wien, 2008 

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