Woher kommt die Macht der US-Präsidenten?

Legendär ist die Macht des US-Präsidenten, von dem es zu Recht heißt, dass er der mächtigste Mensch der Welt ist: „Der Präsident und sein Stellvertreter sind die einzigen beiden aus nationalen Wahlen hervorgehenden Amtsträger in den USA. Während parlamentarische Systeme die Posten von Regierungschef und Staatsoberhaupt trennen, vereint sie die amerikanische Verfassung in einer Person.“ [1] Die Mitglieder der Regierung, die Minister, haben in den USA dementsprechend eine deutlich geringere Bedeutung als ihre Kollegen in den anderen westlichen Regierungssystemen. Kabinettssitzungen finden oft nur dann statt, wenn der Präsident sie für sinnvoll ansieht. Über die erste Präsidentschaft von Trump heißt es bei Stephan Bierling in seinem Buch „Die Unvereinigten Staaten“: „Trump ernannte loyale Unterstützer und Spendensammler und hielt Kabinettsitzungen nur ab, um sich huldigen zu lassen.“ [2] Vor allem in der Außenpolitik ist der Nationale Sicherheitsrat viel wichtiger als das Kabinett. Es gibt ihn seit den 1960er Jahren: „Die Zahl seiner Mitarbeiter stieg von ein paar Dutzend bei John F. Kennedy bis auf 370 unter Biden.“ [3]

Eine beliebte Form des Regierens von US-Präsidenten besteht im Erlass von Dekreten. Direkt nach seiner Amtseinführung erließ Trump gleich am ersten Tag dutzende davon. Oft ist die Rechtsgrundlage für das Handeln die Geltendmachung eines nationalen Notstands. So hatte Trump sich bei der Verhängung von hohen Zöllen gegen nahezu alle Handelspartner der USA auf den International Emergency Economic Powers Act (IEEPA), ein Notstandsrecht von 1977 (!), berufen.

Herr über Krieg und Frieden

Weitreichend sind die Rechte eines US-Präsidenten zur Kriegführung. Offiziell besitzt zwar nur der Kongress das Recht, Krieg zu erklären. Doch immer wieder verkündeten US-Präsidenten Notfälle, mit der der Kongress umgangen wurde: „Ford erteilte der Marine vor Kambodscha Feuerbefehl, Carter ordnete eine militärische Befreiung der US-Geiseln in Teheran an, Reagan schickte Soldaten in den Libanon und nach Granada und ließ Libyen sowie iranische Ziele bombardieren. Bush Senior entsandte Truppen nach Panama und Somalia. Clinton setzte Militär in Irak, Haiti, Bosnien, Afghanistan, Sudan und Kosovo ein – alles ohne parlamentarische Zustimmung.“ [4] Zur Liste der angegriffenen Staaten gehören inzwischen auch der Jemen, der in den ersten Wochen der zweiten Amtszeit von Trump bombardiert wurde, und im Juni 2025 erneut der Iran.

Als Konsequenz aus der ab den 1960er-Jahren zunächst schleichenden, dann immer tieferen Verwicklung der USA in den Konflikt um Vietnam wurden die Stimmen lauter, die eine Wiederholung dieses Desasters durch eine gesetzliche Regelung ein für allemal verhindern wollten, schließlich hatte sich der Einsatz in Vietnam zum größten Krieg der USA seit Ende des Koreakriegs entwickelt. Darin  starben bis zum demütigen Abzug der US-Truppen 58.200 US-Soldaten, 153.303 wurden verwundet, und das, obwohl nie der Kongress über die Beteiligung des Landes am Krieg abgestimmt hatte. Allein die Präsidenten, von Kennedy bis Nixon, hatten die Entscheidungen selbstherrlich getroffen. Nach Ansicht des Kongresses sollte es nicht noch einmal dazu kommen. Nach langen Debatten einigte man sich darauf, ein Gesetz über die Kriegsvollmachten des Präsidenten einzubringen. Am Ende wurde der sogenannte „War Power Act“ vorgelegt: Nach dem Willen des Kongresses „stand das Weiße Haus künftig in der Pflicht, jeden Militäreinsatz vom Kongress genehmigen zu lassen – entweder im Vorweg oder spätestens 60 Tage nach Beginn einer kriegerischen Handlung. Ohne diese Zustimmung würden die Truppen umgehend nach Hause beordert.“ [5]

Doch die nach langen Verhandlungen zwischen Kongress und Weißem Haus am Ende getroffene Vereinbarung fiel harmlos aus und schränkte die Rechte des Präsidenten kaum ein. Im vereinbarten Text hieß es: „'Der Präsident soll bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit dem Kongress Rücksprache halten, ehe Streitkräfte der Vereinigten Staaten in Kampfhandlungen geschickt werden, (…) und er soll nach jeder Entsendung regelmäßig den Kongress konsultieren.' Rücksprache halten und konsultieren, so sich denn eine Gelegenheit bietet – mit wachsweichen, deutungsoffenen Formulierungen machte man die Verfassung zu Altpapier.“ [6] Und so endeten denn auch nicht die Kriege der USA, die selbstherrlich durch einsame Entscheidungen des Präsidenten regelmäßig vom Zaun gebrochen werden.

Die enorme Macht des Präsidenten ist in der Verfassung der Vereinigten Staaten verankert, verfasst 1787. Sie entstammt damit einer Zeit, in der nur weiße, wohlhabende Männer das Sagen hatten, die in der Regel auch Sklavenbesitzer waren: „It was written by a collection of wealthy slavers, wealthy colonizers, and wealthy antislavery white men who were nonetheless willing to compromise and profit together with slavers and colonizers. At no point have people of color or women been given a real say in how it was written, interpreted, or amended.” [7]   

Obwohl die US-Staaten bei der Abfassung des Textes peinlich genau auf die Wahrung ihrer Rechte bestanden, etwa bei der Regelung dass auch der kleinste Staat mit der gleichen Zahl an Senatoren bedacht wird, nämlich jeweils zwei, so wurde, im Widerspruch dazu, zugleich mit dem Präsidenten ein Amt geschaffen, dem weitreichende Rechte zugestanden wurden, die an die eines Monarchen heranreichen.

Die Angst vor der Revolte

In seinem Buch „Demokratie oder Bonapartismus“ ist Domenico Losurdo auf die Beweggründe eingegangen, die zu dieser Machtfülle der US-Präsidenten führte: „Das entscheidende Ereignis (…) ist die Revolte, die sich in den Jahren 1786/87 in Massachusetts entwickelte, getragen von armen und verschuldeten Bauern. Sie wurden angeführt von Daniel Shays, einem pensionierten Oberst des über England siegreichen Kontinentalheeres, und sie rebellierten gegen die Zwangsversteigerung ihres Landes und ihrer Besitztümer zu einem zu geringen Preis und außerdem gegen die Strafe der Schuldenhaft. In diesem Punkte ist die amerikanische Gesetzgebung hart und erbarmungslos.“ [8]

Losurdo knüpfte damit an eine These am, die zuvor schon von kritischen US-amerikanischen Historikern aufgestellt worden war, etwa von Howard Zinn: „By 1787 there was not only a positive need for strong government to protect the large economic interests, but also immediate fear of rebellion by discontented farmers. The chief event causing this fear was an uprising in the summer 1786 in western Massachusetts, known as Shays´Rebellion.“ [9]

Nach Domenico Losurdo geht „bei den Protagonisten der Wende (im Verfassungskonvent von Philadelphia, A.W.) die beherrschende Sorge dahin, die wirksamsten Instrumente zur Unterdrückung eventueller Erhebungen des Volkes bereitzustellen. Blättern wir in den Seiten von 'The Federalist`: Dauernd wiederholt sich der Hinweis auf die Revolte Shays’ und auf den 'Bürgerkrieg' in Massachusetts sowie auf die Notwendigkeit, eine Macht einzusetzen, die fähig sein sollte, 'die Gewalttätigkeit der Aufwiegler zu brechen und zu kontrollieren' (…) und ebenso die 'Anarchie, die uns aus der Nähe bedroht' (…). Ständig lauert die Gefahr von 'Kriegen und Revolutionen', und 'um den Staat vor diesen beiden tödlichen Übeln der Gesellschaft zu schützen', muss man über wirksame 'bewaffnete Kräfte' verfügen (...). Diese sind in erster Linie wegen der Bedrohung vonnöten, die aus dem Landesinneren kommt, wie der wohlbekannte Fall von Massachusetts ebenso zeigt wie der von Pennsylvania, wo selbst jene, die am meisten zögerten, sich von der Notwendigkeit eines stehenden Heeres überzeugt haben, zumindest 'so lange, wie der sei es auch nur geringste Anschein von Gefahr für die öffentliche Ordnung besteht' (…). Um auf jeden möglichen Fall vorbereitet zu sein, ist eine Regierung, die mit 'Energie' ausgestattet ist, absolut notwendig (…), eine 'starke Exekutive' (…), die eventuell auch der 'ungünstigen Stimmung des Volkes' zu trotzen vermag und 'imstande ist, die eigene Meinung mit Entschiedenheit und Energie durchzusetzen' (…), eine Exekutive, die in der Lage ist, in zentralisiertem Verfahren über die bewaffneten Kräfte zu verfügen, notfalls inbegriffen 'die Miliz der einzelnen Staaten' (…). Man versteht nun die These derer, die im Konvent von Philadelphia nicht einfach nur einen 'friedlichen coup d‘ état' haben sehen wollen – diese Interpretation ist weit verbreitet -, sondern einen Staatsstreich, der (Losurdo zitiert hier aus dem Buch „Grundzüge der amerikanischen Außenpolitik“ von Hans-Ulrich Wehler, A.W.) 'dem Modell des Leviathan-Staates' folgt und 'den Sieg von Hobbes über Locke darstellt'. [10] Die starke Stellung des US-Präsidenten, die von der Verfassung vorgegeben ist, ist daher alles andere als zufällig. Sie ist Ausdruck der inneren Klassenkämpfe im Lande, der immer wieder aufs Neue drohenden sozialen Revolte.

Der US-Präsident als Soft-Bonapartist

Nach Losurdo „handelt es sich um einen Soft-Bonapartismus, der sich aber, wenn eine Krisensituation es erfordert oder zu erfordern scheint, angesichts der dem Präsidenten zugestandenen großen Machtbefugnisse auf schmerzlose Weise in einen harten und kriegerischen verwandeln kann, der fähig ist, seine eiserne Faust durchzusetzen.“ [11] Der italienische Historiker und Philosoph spricht hier von Bonapartismus als jener Herrschaftsform des Diktators Napoleons III., des Neffen von Napoleon Bonaparte, zwischen 1850 und 1871.

Überaus erhellend in diesem Zusammenhang ist ein direkter Vergleich zwischen Napoleon Bonaparte selbst und dem ersten US-Präsidenten Georg Washington, der übrigens seinerzeit als der reichste Mann der Vereinigten Staaten galt. Losurdo zitiert dazu aus Frédéric Bluche, Le bonapartisme. Aux origines de la droite autoritaire: „Im Exil auf St. Helena kommt Napoleon auf das Thema zurück: Als ich an die Macht kam, hätte man es gern gesehen, dass ich ein Washington geworden wäre (...) Wäre ich in Amerika gewesen, wäre ich gerne ein Washington geworden und ich hätte wie er sicher wenige Verdienste erworben. Denn ich sehe nicht, wie es vernünftigerweise möglich gewesen wäre, es anders zu machen. Wäre Washington jedoch in Frankreich gewesen und hätte der inneren Auflösung und der äußeren Invasion gegenübergestanden, hätte ich ihn aufgefordert, er selbst zu sein. Und wenn er das hätte sein wollen, wäre er nur ein Dummkopf gewesen und hätte nur großes Unheil verlängert. Was mich betrifft, so konnte ich nichts anderes sein als ein gekrönter Washington.“ [12]

Napoleon Bonaparte gilt in der Geschichte als rücksichtsloser Diktator und Eroberer fast ganz Europas, der zuvor die Französische Revolution brutal beendet und ihre Errungenschaften wie das allgemeine Männerwahlrecht sowie die Befreiung der Sklaven in Übersee rückgängig gemacht hat. Und ausgerechnet er vergleicht sich mit dem amerikanischen Staatsmann („nichts anderes als ein gekrönter Washington“), mit jenem Mann also, der als erster Präsident der USA als Inkarnation der westlichen Demokratie schlechthin gilt. Ein erstaunlicher Vorgang!      

Was die Machtstellung von Präsident Donald Trump heute angeht, so gibt es nicht wenige, die Parallelen mit einer Monarchie ziehen. Vor allem durch die Entscheidung des konservativ gewendeten Supreme Courts vom 1. Juli 2024 über die Immunität des Präsidenten bei Amtshandlungen ist die Macht des Präsidenten weiter angewachsen. „In einer empörten abweichenden Stellungnahme (…) entgegnete Richterin Sonia Sotomayor: 'Bei jeder Ausübung der Amtsgewalt ist der Präsident jetzt ein König, der über dem Gesetz steht.'“ [13]

 



[1] Stephan Bierling, „Die Unvereinigten Staaten. Das politische System der USA und die Zukunft der Demokratie“, 2. Auflage, München 2024, S. 141

[2] Stephan Bierling, „Die Unvereinigten Staaten. Das politische System der USA und die Zukunft der Demokratie“, a.a.O., S. 146

[3] Stephan Bierling, „Die Unvereinigten Staaten. Das politische System der USA und die Zukunft der Demokratie“, a.a.O., S. 154

[4] Stephan Bierling, „Die Unvereinigten Staaten. Das politische System der USA und die Zukunft der Demokratie“, a.a.O., S. 157

[5] Bernd Greiner, Made in Washington. Was die USA seit 1945 in der Welt angerichtet haben. 3. Auflage, München 2022, S. 145 f.

[6] Ebenda

[7] Elie Mystal, Allow me to Retort. A Black Guy´s Guide to the Constitution, New York 2022, S. 2

[8] Domenico Losurdo, Demokratie oder Bonapartismus. Triumph und Niedergang des allgemeinen Wahlrechts, Köln 2008, S. 111

[9] Howard Zinn, A People´s History of the United States, New York, 2005, S.91

[10] Domenico Losurdo, Demokratie oder Bonapartismus. Triumph und Niedergang des allgemeinen Wahlrechts, a.a.O., S. 114 f

[11] Domenico Losurdo, Demokratie oder Bonapartismus. Triumph und Niedergang des allgemeinen Wahlrechts, a.a.O., S. 144.

[12] Domenico Losurdo, Demokratie oder Bonapartismus. Triumph und Niedergang des allgemeinen Wahlrechts, a.a.O., S. 108

[13] Stephan Bierling, „Die Unvereinigten Staaten. Das politische System der USA und die Zukunft der Demokratie“, a.a.O., S. 165

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