Der Erfolg der Rechten ist das Versagen der Linken
Manchmal ist es der politische Gegner, der die Wahrheit über die Linke sagt. So geschehen im Leitkommentar der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 5. September 2025, verfasst von Nikolas Busse, einem der führenden Redakteure des deutschen „Zentralorgans des Kapitals“.
Schon der Titel „Die rechtspopulistische Revolution“ zeigt an, dass es dem Autor um nicht weniger als eine politische Zäsur geht: „Die alte Erkenntnis, dass nichts so mächtig ist wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist, gilt heute für den Rechtspopulismus. Sein Aufstieg vollzieht sich inzwischen in allen drei Weltgegenden, die man dem erweiterten Westen zurechnet und in denen sich lange etablierte Demokratien befinden: Nordamerika, Europa und jetzt auch Japan. In den Vereinigten Staaten und in Italien haben es Rechtspopulisten bekanntlich schon in die Regierung geschafft, Trump zum zweiten Mal. In Großbritannien und Frankreich liegen sie in Umfragen vorn, in Deutschland kommt die AfD der Union nahe. Das lässt sich nicht mehr mit Besonderheiten im jeweiligen Land erklären, noch nicht mal mit Protest oder Uninformiertheit der Wähler. Der Rechtspopulismus hat eine global verbreitbare Weltanschauung hervorgebracht, für die sich seine Anhänger bewusst entscheiden. Wir erleben eine Revolution.“
Dieser Beschreibung eines Epochenwechsels kann kaum widersprochen werden, vollzieht sie sich doch vor aller Augen. Erst kürzlich wurde etwa eine Umfrage für die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt bekannt, wonach die AfD dort die Chance hat die CDU deutlich zu überrunden. Der SPD wird ein Ergebnis von knapp über fünf, den Grünen von unter fünf Prozent vorausgesagt.
Nikolas Busse geht es aber nicht allein um die Beschreibung dieses Phänomens. Er fragt nach den Gründen für den Aufstieg: „Im Kern will der Rechtspopulismus die Politik wieder national eingrenzen, wobei nicht immer ganz eindeutig ist, wer oder was zur Nation gezählt wird. Aber die Stoßrichtung ist unverkennbar: Sie richtet sich gegen Migration (nicht nur irreguläre), gegen Freihandel, gegen Minderheitenrechte, gegen internationale Institutionen. Angestrebt wird letztlich die Rückkehr in eine Welt, wie sie in vielen westlichen Ländern vor der Globalisierung bestand.“ Busse weist dabei „oberflächliche Vergleiche mit dem Faschismus“ zurück. Tatsächlich sind die heute so beliebten Analogien mit der Zeit vor 1933 hilflos, zeigen sie doch nur, dass heute kaum noch Kenntnisse über den wirklichen Faschismus vorhanden sind. Nach Busse liegt „der Bezugspunkt eher in den Fünfziger- bis Siebzigerjahren.“ Und in der Tat waren dies zwar kulturell und politisch verstockte, konservative Zeiten, doch die Menschen erlebten zugleich eine stetige Verbesserung ihres Lebens: Ihre Löhne stiegen, die Arbeitszeit wurde verkürzt und bessere Bildungschancen für ihre Kinder gab ihnen die Gewissheit, dass es der nächsten Generation einmal besser gehen werde. Es war die Zeit des CDU-Slogans „Wohlstand für Alle“ und des „Modells Deutschland“ der SPD. Warum sollten heute nicht viele Sehnsucht nach diesen Zeiten haben? Mit den Errungenschaften der 68er-Generation, der sexuellen Befreiung und der Individualisierung, können sie hingegen wenig anfangen.
Doch diese besseren Zeiten sind nicht einfach so vergangen. Verantwortlich dafür war die neoliberale Wende, die 1979 in Großbritannien unter Thatcher einsetzte und 1981 unter Reagan in den USA ihren Schwung erhielt. Und so lebt nach Busse heute „fast die gesamte westliche Welt (…) in einer Ordnung, die auf einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Liberalisierung beruht, wie sie die Menschheit nie erlebt hat. Nichts kannte in den vergangenen Jahren Grenzen: der Handel nicht, die Wanderung nicht, die Emanzipation nicht. Die erstaunliche Allianz, die in den USA Wirtschaft und Wokeismus eingingen, war der Höhepunkt dieser Entwicklung, und sie schwappte natürlich nach Europa über. Es war die letzte Welle des linksliberalen Zeitgeistes, die nicht mal mehr vor der Biologie haltmachte. Dass die Politik irgendwann anfing, sich ständig mit Ansprüchen sexueller Kleingruppen zu beschäftigen, war einer der Momente, in dem sie auch Teile des Bürgertums verlor.“ Doch die Antwort der Mehrheit blieb nicht aus: „In einer Demokratie kann man vieles machen, aber nicht Politik gegen große Gruppen oder Mehrheiten, zumindest nicht auf Dauer. Der Rechtspopulismus spricht potentiell die Teile der Gesellschaft an, die in westlichen Staaten in jüngerer Zeit vergessen oder gar bekämpft wurden: Arbeiter, Männer, traditionelle Familien und, besonders wirkmächtig, die Inländer. Das macht Wählerkoalitionen möglich, die nicht schnell verschwinden dürften, wie besonders die Erfolge des Rechtspopulismus bei jungen Leuten zeigen. Als Jugendbewegung könnte er Durchschlagskraft über ein, zwei Generationen erlangen."
Busse dürfte wohl die Haltung der FAZ-Redaktion wiedergeben, wenn er schreibt, dass gegen die „rechtspopulistische Revolution“ auf absehbare Zeit nichts zu machen sei, zumal dort, wo sie bereits erfolgreich war, etwa in den USA und in Italien: „Sie können darauf bauen, dass sie für ihre Wähler erst mal das kleinere Übel bleiben werden.“ Den unter Druck geratenen deutschen Christdemokraten hält der Kommentator den Rat bereit, sich für die Themen des Rechtspopulismus zu öffnen.
Keinen Rat gibt Busse hingegen der Linken, worunter er die drei Parteien SPD, Grüne und Die Linke zusammenfasst. Warum sollte er das auch als FAZ-Redakteur tun? Die Linken müssen selbst Antworten auf Fragen finden, die schon lange im Raum stehen.
Da ist zunächst die Globalisierungskritik. Sie war einst eine Domäne der Linken. Erinnert sei an die großen Demonstrationen aus Anlass von G7 bzw. G8-Gipfeln, etwa in Seattle und in Genua 1999 und 2001. Warum protestiert heute kaum noch einer gegen sie? Und wo sind die weltweiten Sozialforen geblieben? Angeklagt wurden seinerzeit die kapitalistischen Konzerne, dass sie ohne Rücksicht auf die Lebensinteressen der Arbeiter die Produktion und damit auch Steueraufkommen in die Länder des globalen Südens verlagern, um so Lohnkosten zu sparen, Aufwendungen für die soziale Sicherung zu vermeiden und Auflagen zum Umwelt- und Klimaschutz zu umgehen. Heute ist es Trump, der diese Jobs zurückholen will.
Verstummt ist auch die linke Kritik an der Verlagerung von Arbeitsplätzen innerhalb der EU nach Osteuropa, an der „Delokalisation“. Nur noch die AfD und der Ressemblement national von Le Pen verurteilen sie. Doch wo sind hier die europäischen Linken? Diese bekennen sich inzwischen alle zur EU, betrachten sie gar als großes zivilisatorisches Projekt, darauf gerichtet den Nationalstaat zu überwinden. Den Austritt Großbritanniens, den Brexit, haben sie deshalb bedauert und als Weg in die falsche Richtung verurteilt. Auch Jeremy Corbin hat ihn als Labour-Vorsitzender nicht gewollt. Heute ist es Nigel Farage, einstiger Anführer der Brexit-Befürworter, der mit seiner rechtspopulistischen Reform UK Party gute Chancen hat nächster Premierminister zu werden. Auf die Unterstützung der Arbeiterklasse in Mittelengland, die bereits bei der Brexit-Entscheidung den Ausschlag gab, kann er sich jedenfalls verlassen.
Was ist aus der linken Kritik am Euro-System geworden? Als Konsequenz der Griechenlandkrise hatten Oskar Lafontaine und Jean-Luc Mélenchon ein anderes, gerechteres Währungssystem in einem „Plan-B“ vorgeschlagen. Davon ist aber heute nichts mehr zu hören. So ist es nur noch die AfD, die die fatalen Konsequenzen der Einheitswährung anprangert.
Kommen wir zum Problem der Migration, dem mit Abstand wichtigsten Antreiber des rechtspopulistischen Erfolgs. Mit der libertär-anarchistischen Parole „No Nations – No Borders“ hat die Linkspartei ihre ganze Verachtung für die Probleme und Ängste der sogenannten „kleinen Leute“ zum Ausdruck gebracht. Doch ganz anders als die Linken verbinden die Abgehängten mit der Nation die Hoffnung auf einen Schutz- und Rückzugsraum. Die Vorstellung, dass sich Deutschland in einer multikulturellen Welt auflösen könnte, weckt dort Ängste und Widerstand.
Entspricht es nicht der Realität, wenn Nikolas Busse diesen Linken vorwirft sich immer mehr mit den „Ansprüchen sexueller Kleingruppen zu beschäftigen“? Nichts gegen die Regenbogenfahne der LGBTQ-Bewegung auf öffentlichen Gebäuden am Christopher-Street-Day, schließlich sind Schwule, Lesben und transsexuelle Menschen täglichen Diskriminierungen und Beleidigungen ausgesetzt. Aber was ist mit den Frauen? Sind nicht auch sie von Zurücksetzungen und Gewalt betroffen? Warum weht daher am internationalen Frauentag, am 8. März, nicht auch die violette Flagge auf den Amtsgebäuden? Und gehört nicht die rote Fahne am 1. Mai dort hin, so wie die blaue Friedensflagge am 1. September? Aber solche Forderungen traut sich eine libertär gewordene Linke nicht zu stellen.
Dort hält man hingegen große Stücke auf den eigenen antirassistischen Kampf. Doch der beschränkt sich auf hohle Gesten, auf die Ächtung kompromittierender Begriffe oder die Umbenennung von Straßen. Ein wirklicher Kampf gegen Rassismus muss hingegen mit antikapitalistischem Kampf einhergehen. Angela Davis hat immer wieder darauf hingewiesen, dass im Zehnpunkteprogramm der US-amerikanischen Black-Panther-Party der 70er-Jahre, die als Ausgangsinitiative der heutigen Bewegung gegen Rassismus anzusehen ist, Forderungen nach Arbeitsplätzen, umfassender Wohnungsversorgung, Gesundheit und Bildung ganz oben standen. Eine wirkliche antirassistische Linke hat daher die Verbesserung der Lebensbedingungen aller Diskriminierten und Unterdrückten, ganz gleich ob mit deutschem oder migrantischem Hintergrund, in den Blick zu nehmen.
Nikolas Busse ist zuzustimmen, wenn er abschließend schreibt, dass man mit „Haltung“ oder dem Beschwören einer „demokratischen Mitte“ den Zug des Rechtspopulismus nicht mehr aufhalten kann. „Dies wird nur mit einer Politik möglich sein, die den Fragen nicht ausweicht, die die Wähler der Rechtspopulisten umtreibt.“ Doch die heutige Linke weicht genau diesen Fragen aus, ist sie doch längst eine soziallibertäre Linke geworden, die die Globalisierung mit all ihren fatalen Folgen nicht mehr infrage stellt. Ihre Zustimmungswerte gehen denn auch von Wahl zu Wahl zurück. Daran ändert auch der Aufschwung der Partei Die Linke bei den letzten Bundestagswahlen nichts, ist er doch vor allem Ergebnis eines Wählerwechsels von anderen linken Parteien hin zu ihr. Gebraucht werden die linken Parteien heute nur noch für breite „Bündnisse der Demokraten“ zusammen mit CDU, CSU und der FDP zur Verhinderung von Wahlerfolgen der AfD. Als bloße Funktionsparteien haben sie aber keine Zukunft.
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