Anmerkungen zu dem Artikel „Formierte Gegenaufklärung“ in der Zeitung Junge Welt vom 21./22. März 2015

In der Wochenendausgabe vom 21./22. März 2015 veröffentlichte die Tageszeitung junge Welt unter der Überschrift „Formierte Gegenaufklärung“ einen Artikel, der sich u. a. mit der Situation der Friedensbewegung und hier insbesondere mit den Montagsmahnwachen beschäftigt. Autor ist der Redakteur der jungen Welt Sebastian Carlens.  

Der Artikel bedarf einer eingehenden Analyse und Kritik, die ich hier im Folgenden nur in ersten Ansätzen leisten kann. Eine solche Kritik ist umso notwendiger, da der Beitrag von Sebastian Carlens nach Aussage des Geschäftsführers der jungen Welt, Dietmar Koschmieder die Meinung der gesamten Redaktion widergibt, dies erklärte er jedenfalls auf einer Veranstaltung des Marx-Engels-Zentrums Berlin am 26.03.15. Die folgende Kritik ist als eine solidarische zu verstehen, die in Sorge um den weiteren Weg der Zeitung geschrieben wurde. Die junge Welt ist für die gesamte Linke zu wichtig, um über diesen Beitrag schweigend hinwegzusehen.     

1. In dem Absatz unter der Überschrift "Neue Inflationsheilige" werden als rechte "Selbstanbieter und -vermarkter" in einem Satz "Führer der Montagsmahnwachen und der Pegida-Aufmärsche" genannt. Etwas später wird dann auch noch Jürgen Elsässer dazugenommen. Schon diese Gleichsetzung stellt eine Vermengung unterschiedlichster Personen und Zusammenhänge dar. Carlens weist anschließend  diesen "Neuen Inflationsheiligen" die Rolle zu, faschistische Bewegungen in spe zu sein. Nicht anders sind die folgenden Sätze zu verstehen: „Die geschickteren unter ihnen sammeln genug Anhang, um irgendwann eine Bewegung herauszubilden, die schließlich als Kraft der Straße nicht mehr übergangen werden kann. Einen solchen Alternativplan könnte das Kapital gebrauchen, und sei es zur Erpressung der Werktätigen in Lohnkämpfen. Den im Parlament gebundenen Kräften wird die eigene Ohnmacht und stete Abrufbarkeit so fortwährend vor Augen geführt. Exemplarisch für viele weitere dieser Inflationsheiligen seien an dieser Stelle der Publizist Jürgen Elsässer und der ehemalige Radiomoderator Ken Jebsen erwähnt.“ Diese Bewertung von Ken Jebsen aber auch von Jürgen Elsässer als Exemplare von Keimformen faschistischer Massenbewegungen kann nur als eine analytische Fehlleistung angesehen werden. Auf diese Weise soll ganz offenkundig eine sachliche und inhaltliche Auseinandersetzung der Linken mit den Positionen von Ken Jebsen und anderen Vertretern der „Montagsmahnwachen“ von vornherein unterbunden werden.

2. Ken Jebsen wird in seiner Rolle als "neuer Inflationsheiliger", im Unterschied zu Jürgen Elsässer, als besonders gefährlich angesehen, da er über die „Montagsmahnwachen“ innerhalb des Bündnisses „Friedenswinter“ mit Repräsentanten der „alten“ Friedensbewegung und mit Politikern der Linken zusammenarbeitet: „Anders ist es mit Jebsen, der Verbündete in der Partei Die Linke finden konnte.“ Später wird in dem Artikel als einer der hier gemeinten Politiker der Linkspartei Wolfgang Gehrcke  genannt. Dies heißt nichts anderes: Wolfgang Gehrcke, aber wohl auch der hier nicht explizit genannte Diether Dehm und weitere des linken Flügels der Linkspartei, sind „Verbündete“ von Ken Jebsen und damit eines jener "neuer Inflationsheiligen", die eines Tages eine faschistische Massenbewegung anführen könnten. Dies ist ein Vorwurf, der an Denunziation grenzt. Das rechte FdS in der Linkspartei hat Grund zum Jubel über diese Unterstellung.

3. Carlens und mit ihm die junge Welt entziehen den Aktivisten der Friedensbewegung ihre Solidarität, wenn sie leugnen, dass sie überhaupt existiert, bzw. wenn sie behaupten, dass ihr der Anhang fehlt. Hierzu heißt es im Artikel: „Es gibt keine alten Friedensbewegung mehr, ihre Zeit war in den 80er Jahren, unter dem Eindruck der Blockkonfrontation und der NATO-Nachrüstung. Es existierte eine DDR und eine UdSSR, in der BRD konnte die DKP Eindluss auf Teile der Bewegung nehmen. Heute sind lediglich einige Strukturen übriggeblieben, denen der Anhang fehlt.“ Die Aktivisten der Friedensbewegung können sich über diese solidarische Unterstützung im Vorfeld der Ostermärsche und der Demonstration am 10. Mai bei der jungen Welt nur bedanken!                     

4. Am Ende seines Artikels beschreibt Sebastian Carlens, wie seiner Meinung nach jetzt für den Frieden zu kämpfen sei: „Es wird sich zeigen, ob die organisierte revolutionäre Bewegung wenigstens einen Kern an Wissen, Personal und Erfahrung retten und konsolidieren kann. Ohne organisatorische Eigenständigkeit, ohne eigene Mobilisierungsfähigkeit und ohne aufklärerische Gegenangebote an die Menschen, die die drohenden Gefahren erahnen und denen grundsätzlich und mehrheitlich, das zeigt bislang noch jede Umfrage, an Frieden gelegen ist, wird dies scheitern.“ An die Stelle der Friedensbewegung soll also „die organisierte revolutionäre Bewegung“ treten. Hier zeigt sich, dass Carlens die Friedensbewegung als ein möglichst breites Bündnis von weltanschaulich durchaus unterschiedlichen Positionen, die sich auf wenige, existenzielle Ziele verständigt, nicht verstanden hat. Und eine Fragen sei hier abschließend gestellt: Wer und wo ist bitte schön diese „organisierte revolutionäre Bewegung“? 

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