Wahlen in der Halbkolonie

Alexis Tsipras, Spitzenkandidat der linken Partei Syriza bei den anstehenden Parlamentswahlen in Griechenland am 25. Januar, will der »gesellschaftlichen Tragödie sowie dem Alptraum der Austerität und des Autoritarismus ein Ende« setzen. In seiner Rede zur Eröffnung des Wahlkampfs versprach er, Griechenland »wieder zu einem Land zu machen, das auf den eigenen Beinen steht«.

Diesen Worten entspricht das Wahlprogramm von Syriza, das »Programm von Thessaloniki«. Angekündigt werden darin eine »kostenfreie Stromversorgung und Lebensmittelgutscheine für mindestens dreihunderttausend Haushalte, eine 13. Monatsrente für Niedrigrentner mit einer Rente unter 700 Euro, kostenfreie medizinische und medikamentöse Versorgung und die Abschaffung der Sondersteuer für Heizöl«.

Versprochen werden »die Wiederherstellung des Arbeitsrechts, das die unter dem Memorandum verabschiedeten Gesetze abgeschafft haben«, die »Wiedererhöhung des Mindestlohns auf 751 Euro für alle« und die »sofortige Schaffung von 300.000 Arbeitsplätzen im Privatsektor, im öffentlichen Sektor sowie im Sektor der Sozialwirtschaft«. Die »verfassungswidrig Entlassenen« sollen rehabilitiert werden. All das wird von Tsipras ausdrücklich als »nicht verhandelbar« bezeichnet.

Doch zur Realisierung des Programms bedarf es nicht nur einer eigenen Mehrheit im Athener Parlament. Die neue Regierung muss vor allem Herr im eigenen Land sein. Das wird sie aber so wenig wie die gegenwärtige Regierung sein, denn in Athen führt die Troika das Wort. Sie repräsentiert dabei die wichtigsten internationalen Gläubiger Griechenlands, die Europäische Kommission, die Europäische Zentralbank und den Internationalen Währungsfonds. Sie halten Griechenland im Status einer Halbkolonie. Seit Mai 2010, seitdem sich Griechenland nicht mehr an den Kapitalmärkten finanzieren konnte, ist ihre Macht stetig gewachsen, wurde doch ihr Anteil an den griechischen Auslandsschulden beständig größer, während es gleichzeitig den Banken gelang, ihre griechischen Schuldtitel an die öffentliche Hand und damit an den europäischen Steuerzahler weiterzureichen. Von der Gesamtschuld in Höhe von 321,7 Milliarden Euro halten öffentliche ausländische Gläubiger inzwischen 260 Milliarden Euro, dies sind etwa 80 Prozent. Allein die Euro-Hilfsfonds haben 141 Milliarden vergeben, der IWF 35 Milliarden und 53 Milliarden die übrigen Euro-Länder. Die Macht dieser Gläubiger ist erdrückend, wissen sie doch, dass Athen ihnen ausgeliefert ist. An die Kapitalmärkte kann das Land nicht zurückkehren, denn die dort zu zahlenden Zinsen wären utopisch hoch, und andere institutionelle Gläubiger, etwa Russland oder China, sind nicht in Sicht. So kann die Troika heute offen damit drohen, die Auszahlung einer für Februar vorgesehenen Tranche von Hilfskrediten zu verweigern, sollte eine linke Regierung den Kurs der Kürzungspolitik aufgeben. Es wäre dann unmöglich, auch nur die Gehälter für die öffentlich Beschäftigten zu zahlen.

Alexis Tsipras will daher die Bürde der Schulden und mit ihr die Kürzungspolitik loswerden. Er setzt dabei auf die Einsicht, dass ein Land mit einer Verschuldungsrate von 176 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht mehr alleine auf die Beine kommen kann, ein erneuter Schuldenschnitt also unausweichlich ist. Und tatsächlich wird diese Position von immer mehr Politikern und Ökonomen in der EU geteilt. Da aber ein solcher Verzicht riesige Löcher in die Haushalte der übrigen Euro-Länder reißen würde, ist nicht damit zu rechnen, dass man dort zugleich bereit wäre, auf die Forderungen einer linken griechischen Regierung nach Rückgängigmachung der von der Troika verordneten Kürzungspolitik einzugehen. Überhaupt spricht nichts dafür, dass man ausgerechnet Griechenland künftig von jener Austeritätspolitik ausnehmen wird, die auch für die anderen Memorandumsländer Portugal, Irland und Zypern gilt und die Brüssel mit Hilfe des Stabilitäts- und Wachstumspakts, des Euro-Plus-Pakts, des Fiskalpakts sowie mit dem Europäischen Semester mehr und mehr auch den übrigen EU-Ländern diktiert. Tsipras ignoriert diese Lage, wenn er ankündigt: »Durch eine intensive Verhandlung der Schuldenfrage gewährleisten wir eine tatsächlich gleichwertige Teilnahme unseres Landes an der Euro-Zone, ohne die Austerität, die nicht durch die europäischen Verträge auferlegt wird und die dem Land so viel Leid zugefügt hat.«

Anders wäre es hingegen, würde eine von Syriza geführte Regierung glaubhaft damit drohen, im Falle einer unveränderten Politik der europäischen Gläubiger die Euro-Zone oder gar die EU zu verlassen, um einen eigenen Weg jenseits von äußerer Bevormundung zu gehen. Dies wäre ein wirksames Mittel, um Brüssel und Berlin zum Einlenken bewegen zu können, denn ein Austritt auch nur eines Landes aus dem Euro kann zu unabsehbaren Kollateralschäden für die gesamte Währungszone führen. Dies hat die in den letzten Wochen in Berlin geführte Debatte über den Austritt Griechenlands, den »Grexit«, gezeigt. Angesichts der Gefährlichkeit auch nur einer Debatte darüber wurde sie schnell mit einem Machtwort der Kanzlerin beendet.

Eine solche Drohung schließt Alexis Tsipras aber ausdrücklich aus. Er hat sich mit Blick auf Mitglieder und Wähler seiner Partei festgelegt, auf jeden Fall in der Euro-Zone zu bleiben. Viele von ihnen gehören der Mittelschicht an und haben noch gestern sozialdemokratisch gewählt. Sie wollen zwar die Kürzungspolitik loswerden, aber nicht auf den Euro verzichten. Der Preis dafür ist, dass Tsipras bei einem Ringen mit den europäischen Gläubigern über keine echte Verhandlungsmacht verfügen wird. Auf der Kapitalseite hält sich daher die Furcht vor einer Syriza-Regierung in Grenzen. Über die Stimmung an der Athener Börse konnte die FAZ bereits am 14. Januar melden: »Der Aktienindex ASE legte binnen zwei Tagen bald acht Prozent zu.« Direkt nach der Ankündigung von Neuwahlen Ende Dezember war er noch stark eingebrochen.

 

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