Die Zäsur

Über die Folgen des Rückzugs von Sahra Wagenknecht

von Andreas Wehr, 14. März 2019

Am 10. März 2019 verkündete Sahra Wagenknecht ihren Entschluss, sich bei Aufstehen aus der vordersten Linie zurückzuziehen. Nur einen Tag später erklärte sie, bei den im Herbst anstehenden Neuwahlen für den Fraktionsvorsitz der Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE nicht mehr antreten zu wollen.

Zwei Rückzüge

Zwischen beiden Ereignissen besteht ein enger Zusammenhang. Die Sammlungsbewegung Aufstehen war in den letzten Monaten erkennbar in eine Sackgasse geraten. Damit war aber zugleich Wagenknechts Position an der Spitze der Bundestagsfraktion unhaltbar geworden.

Aufstehen war von Beginn das Projekt Sahra Wagenknechts und mit ihr auch von Oskar Lafontaine. Es sollte ihr eine Machtbasis verschaffen, um so verlorengegangenen Handlungsspielraum in der Linkspartei zurückzugewinnen, der ihr von der Parteiführung und einer stetig wachsenden Gruppe von Abgeordneten Schritt um Schritt genommen worden war. Auf dem Leipziger Parteitag im Juni 2018 war Wagenknechts Isolierung unübersehbar geworden: Das Präsidium des Parteitags hatte unter Billigung der Parteivorsitzenden Kipping und Riexinger die eigene Fraktionsvorsitzende in entwürdigender Weise den wütenden Angriffen ihr feindlich gesonnener Delegierter ausgeliefert - ein in der bundesdeutschen Parteiengeschichte einmaliger Vorgang. Diese Attacke und das nachfolgende, nicht enden wollende Mobbing konnten nicht ohne Einfluss auf ihre Gesundheit bleiben.

Seit dem Parteitag stand fest, dass Wagenknecht nur noch Fraktionsvorsitzende auf Abruf ist. Spätestens für die im Herbst 2019 fällige Neuwahl des Fraktionsvorstandes erwartete man ihre Niederlage. Mit den wachsenden Problemen bei Aufstehen schwand zugleich die Hoffnung Wagenknechts, ihren schwindenden innerparteilichen Einfluss durch eine Machtbasis außerhalb der Partei kompensieren zu können. Ihre Stellung in der Fraktion wurde unhaltbar. Ihr Verzicht auf den Fraktionsvorsitz und ihr Rückzug bei Aufstehen waren nur konsequent.

DIE LINKE ohne Wagenknecht

Diejenigen in der Linkspartei und den Medien, die über Jahre an der Demontage Wagenknechts gearbeitet hatten und dafür ihre Positionen als „nationalistisch“ und gar „rassistisch“ diffamierten, mögen ihren Rückzug mit Genugtuung sehen. Aber sie könnten sich täuschen wenn sie glauben, mit einer jetzt größeren innerparteilichen Einigkeit zugleich auch nach außen attraktiver werden zu können. Viele Wähler und Mitglieder der LINKEN, die bisher nur noch wegen Wagenknecht der Partei die Treue hielten, werden sich jetzt abwenden. Sahra Wagenknecht erlebt hingegen eine Sympathiewelle. Das wird nicht ohne Folgen auf die anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament bleiben. Und tatsächlich gibt es keinen Grund mehr, länger eine Partei zu unterstützen, die sich damit begnügt nur noch Juniorpartner von SPD und Grünen sein zu wollen.

Die verbleibenden Linken in der LINKEN sollten sich daher nicht täuschen: Der Rückzug von Sahra Wagenknecht stellt eine Zäsur dar. Die bereits seit den 1990er Jahren verfolgte Strategie, zunächst die PDS und dann DIE LINKE durch immer weitere Abstriche an ihrer Programmatik für eine Zusammenarbeit mit SPD und Grünen auf allen Ebenen passförmig zu machen, ist aufgegangen. Entlarvend sind hier die Erklärungen des stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Ralf Stegner und des Chefs des konservativen Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, „dass mit dem Ausscheiden Wagenknechts aus der Fraktionsführung ein rot-rot-grünes Bündnis leichter möglich wäre“.[1]

Was bleibt von Aufstehen?

Die Zustimmung zu einem Projekt wie Aufstehen war beeindruckend. Die übergroße Mehrheit der Unterstützer dürfte sich für Aufstehen engagiert haben, weil sie erwartete, dass hier etwas gegenüber SPD, Grüne und LINKE Neues geschaffen wird. Fast 170.000 trugen sich in die Mailliste ein. Zum Vergleich: Die Partei DIE LINKE hat gegenwärtig nur noch 62.000 Mitglieder.

Doch schon bei der Gründung von Aufstehen im September 2018 zeigten sich gravierende Konstruktionsfehler: Die mühsame Suche nach „Prominenten“ verzögerte über Monate den Start und hatte am Ende doch nur ein wenig überzeugendes Personaltableau zum Ergebnis. Wirklich einflussreiche Repräsentanten aus den Reihen von SPD und Grünen konnten nicht gewonnen werden. Die als offizielles Ziel von Aufstehen verkündete Absicht, die drei Parteien SPD, Grüne und DIE LINKE auf eine gemeinsame soziale Politik verpflichten zu wollen, blieb ohne jede Resonanz. So fehlte denn auch dem Vorhaben, den drei Parteien ein Regierungsprogramm für die nächste Bundestagswahl mit auf den Weg zu geben, jeglicher Boden. Hinzu kamen handwerkliche Fehler: Das Experiment, die Unterstützer von Aufstehen mittels Internet mitentscheiden zu lassen, funktionierte nicht. Den sich an vielen Orten bildenden Gruppen wurde keine inhaltliche oder organisatorische Hilfestellung gegeben. Man überließ sie sich selbst. Die Erstunterzeichner des Gründungsaufrufs wurden nicht in die Entscheidungsabläufe eingebunden. Schließlich waren die Demonstrationsaufrufe „Würde statt Waffen“ und „Aktion#BunteWesten“ inhaltsleer - nur wenige folgten ihnen.

Die Bewegung litt aber vor allem unter Unklarheit über ihre politische Ausrichtung. Immer häufiger wird in Deutschland davon gesprochen, dass eine populäre Linke fehlt, eine Linke, die sich als soziale und nicht als eine kulturalistische versteht, für die der Klassenwiderspruch und nicht die bloße Bündelung der Interessen von Minderheiten im Mittelpunkt steht. Aufstehen hätte dieses Neue sein können. Dafür hätten aber die entscheidenden Fragen, die die kulturalistische von einer sozialen Linken trennen, klar benannt werden müssen. Dazu gehört vor allem die Herausstellung der Bedeutung des Staates als Schutz für die Rechte der sozial Benachteiligten, die Ablehnung der undemokratischen und unsozialen EU und eine eindeutige Haltung in der Migrationsfrage, die „offene Grenzen für alle“ ausschließt. Mit einem Wort: Am Anfang der Bewegung hätte die klare Absage an die unter Linken so verbreitete Position „No Border – No Nation“ stehen müssen.[2] Doch bereits im Gründungsaufruf mangelte es hier an der notwendigen Klarheit.

Als weiteres Hindernis erwies sich das ungeklärte Verhältnis der Bewegung gegenüber der Partei DIE LINKE. So wurde und wird sie heute faktisch von Bundestagsabgeordneten der LINKEN bzw. von Mitarbeitern der Fraktion und der Abgeordnetenbüros quasi als Vorfeldorganisation der Linkspartei gelenkt. Aufgrund dieser Abhängigkeit unterblieb eine ernsthafte Prüfung der Möglichkeit, bei den anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament eigenständig zu kandidieren. Ein solcher Wahlantritt wäre für Aufstehen ohne weiteres möglich gewesen, da er nicht die Gründung einer Partei zur Voraussetzung hat. Mit dem - angesichts des Fehlens einer Sperrklausel – sicheren Einzugs in das Europäische Parlament hätte die Bewegung sich so leicht eine eigene finanzielle und materielle Basis verschaffen können. Diese Chance wurde vertan.[3]

Mit dem Rückzug von Sahra Wagenknecht ist nun offenkundig geworden, dass das Projekt Aufstehen gescheitert ist – zumindest in der Form, in der es im September 2018 ins Leben gerufen wurde. Womöglich war die Bewegung aber nur der Vorläufer einer sich neu bildenden populären Linken. Denn es bleibt eine Tatsache, dass eine solche Linke dringend benötigt wird.



[1] An die Substanz. Wagenknechts Rückzug bringt der Linken Probleme, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.03.2019

[2] Vgl. hierzu Andreas Wehr, Klarheit vor Sammlung vom 26.01.2018, https://www.andreas-wehr.eu/klarheit-vor-sammlung.html

[3] Ein Vorschlag für eine solche Kandidatur wurde rechtzeitig unterbreitet. Vgl. hierzu Andreas Wehr, Den nächsten Schritt gehen! Die Sammlungsbewegung Aufstehen muss bei den Wahlen zum Europäischen Parlament sichtbar werden vom 16.11.2018, https://www.andreas-wehr.eu/den-naechsten-schritt-gehen.html

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