Offener Brief an Frank Bsirske

Lieber Frank Bsirske,

wahrscheinlich wirst Du Dich nicht mehr an mich erinnern. Wir haben uns aber das eine und andere mal bei Veranstaltungen der "Initiative für eine neue Politik der Arbeit (NPA)" getroffen. Da ich beruflich mit Europa zu tun habe, beschäftige ich mich natürlich auch viel mit der Eurokrise. Bei Interesse kannst Du manch Schriftliches von mir dazu unter www.andreas-wehr.eu finden.      

Es ist erst wenige Tage her, dass ihr auf eurem Gewerkschaftskongress das Folgende beschlossen habt: „Der Bundeskongress verurteilt die Sparauflagen für die südeuropäischen Schuldnerstaaten und fordert ihre Rücknahme. Er fordert die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, sich für ein sofortiges Ende der ökonomisch und sozial schädlichen Sparpolitik in den Schuldnerländern einzusetzen. Der Bundeskongress fordert den Austritt der Bundesrepublik Deutschland aus dem Euro-Plus-Pakt. Dieser Pakt ist gegen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie ihre Gewerkschaften gerichtet. Der Pakt legt die Axt an die Tarifautonomie und die nationalen sozialen Sicherungssysteme.“

Dieser Verdi-Beschluss war für mich Ausdruck gelebter internationalistischer Solidarität. Ich empfand ihn als mutig und sehr nützlich, da damit endlich von Gewerkschaftsseite klar und deutlich gesagt wurde, was die gegenwärtige deutsche Europapolitik zum Ziel hat: Die Abwälzung der Krisenlasten auf die Lohnabhängigen und sozial Schwachen vor allem in den europäischen Defizitländern. Offen wird in Berlin, Paris und Brüssel gefordert, zu diesem Zweck die Souveränitätsrechte dort massiv einzuschränken. Die Peripheriestaaten sollen gezwungen werden, Hoheitsrechte an die Europäische Kommission und damit an die dahinter stehenden kerneuropäischen Staaten abzugeben, damit der Sozialabbau künftig ohne störenden demokratischen Einspruch von unten exekutiert werden kann. Die EU wird auf diese Weise endgültig zu einer hierarchischen Ordnung mit dem Hegemon Deutschland an der Spitze. 

Mit Deiner Unterschrift unter der Anzeige "Ja zu Europa! Ja zum Euro!" hast Du diesen Beschluss nun leider entwertet. Angesichts des drohenden massiven Demokratieabbaus vor allem in den Peripherieländern ist es ein Hohn, wenn es in der Anzeige heißt: "Die Währungsunion ist ein Meilenstein der Europäischen Integration. Heute müssen wir Europa sozial und demokratisch weiter entwickeln. Dafür brauchen wir mehr Demokratie in Europa, eine demokratisch legitimierte Wirtschafts- und Finanzregierung, die Respektierung der Tarifautonomie und vor allem eine mutige Politik." Die hier geforderte europäische "Wirtschafts- und Finanzregierung" wird doch gerade deshalb geschaffen, um den Defizitländern ihre Souveränitätsrechte zu nehmen und den Sozialabbau dort zu beschleunigen. Und ausgerechnet dieses Vorgehen wird in der Anzeige als Schaffung von "mehr Demokratie in Europa" und als soziale Weiterentwicklung ausgegeben!  

Es wäre ein enormer Verlust für die fortschrittlichen Kräfte in Deutschland und in ganz Europa, würde Verdi jetzt in der Europapolitik auf die Seite von IG Metall oder gar der IG Bergbau, Chemie, Energie wechseln. Ich hoffe sehr, dass dies ihre Mitglieder nicht zulassen.

Mit solidarischen Grüßen 

Andreas Wehr      

Ich bin übrigens seit 1973 Mitglied in ötv bzw. Verdi

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