Erst der Anfang

Gastkommentar zum Rückzug von Gregor Gysi vom Fraktionsvorsitz

Junge Welt vom 8. Juni 2015

Gregor Gysi gibt den Fraktionsvorsitz der Partei Die Linke im Bundestag im Oktober 2015 auf. So muss man es wohl nennen, denn hätte er den Posten im Herbst erneut angestrebt, niemand hätte ihm den streitig machen können. Zwar gibt es den von Gysi wenig geschätzten Parteitagsbeschluss, künftig die Fraktion von einer weiblich und einer männlich besetzten Doppelspitze führen zu lassen, doch das hätte ihn kaum aufhalten können, den Posten noch einmal anzustreben. Es hätte gereicht, die Partei vor die Frage Rückzug oder Führung verbunden mit der Spitzenkandidatur zu stellen. Dies hatte offensichtlich auch Sahra Wagenknecht so eingeschätzt, als sie im Frühjahr ihren Verzicht auf eine Kandidatur für den Fraktionsvorsitz erklärte.

Gysi verlässt damit die vorderste Reihe, während die Partei Die Linke die größte Oppositionsfraktion im Bundestag stellt. Er geht also während seines größten politischen Triumphs. Das klingt nach Weisheit und ist es wohl auch. Hinzu käme aber auch die Einsicht, dass er sein eigentliches Ziel, die Partei 2017 auf Bundesebene in eine Koalition mit SPD und Grünen zu führen, wohl nicht mehr erreichen kann, da vor allem die SPD auch in zwei Jahren wahrscheinlich noch keine Bereitschaft dazu zeigen wird. Da ist es klug, die Spitzenkandidatur für die Partei bei den kommenden Bundestagswahlen gar nicht erst anzustreben. Und wieder nur bloßer Kandidat für den Vorsitz einer Oppositionspartei werden zu wollen, das reizt ihn vielleicht nicht mehr.

Doch bis zur Bundestagswahl 2017 sind es noch mehr als zwei Jahre. Vorstellbar ist daher auch, dass Gysi diese Zeit als einfacher und von Ämtern freier Abgeordneter nutzen wird, um in dieser neuen Rolle für einen grundlegenden Richtungswechsel in der Partei einzutreten, der sie für SPD und Grüne anschlussfähig macht. Schließlich ist klar, dass Die Linke das von ihr gewünschte Bündnis mit diesen Parteien nur dann bekommt, wenn sie ihre Kritik an der Europäischen Union aufgibt, die NATO akzeptiert und Ja sagt zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr. In einer Reihe von Interviews hat Gysi in den vergangenen Wochen bereits für eine neue Beweglichkeit in dieser Frage geworben. Und in seiner Rede auf dem jetzigen Parteitag in Bielefeld sagte er: »90 Prozent unserer Wähler wünschen sich eine Regierungsbeteiligung der Partei« »Haltelinien« halte er für »falsch«. Und: »Wir können und sollten auch auf Bundesebene mitregieren« Zugleich umriss er detailliert die Konturen eines künftigen Verhandlungsangebots der Partei zu einer Beteiligung an der nächsten Bundesregierung. Das klang ganz und gar nicht nach Abschied.

Es spricht also einiges dafür, dass die Auseinandersetzung um eine Beteiligung der Linken an der nächsten Bundesregierung mit Gysis Rückzug vom Fraktionsvorsitz nicht beendet ist, sondern jetzt erst richtig begonnen hat.

 

 

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